Unfall: Oberster Gerichtshof gibt Radfahrer Vorrang

Unfall Oberster Gerichtshof gibt
Unfall Oberster Gerichtshof gibt(c) Illustration Vinzenz Schüller
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Die Straßenverkehrsordnung enthält für das Nebeneinander von Autos und Fahrrädern auf den Straßen Regeln, die einander widersprechen. Einen Streitfall hat das Höchstgericht nun zugunsten der Radfahrer gelöst.

Wien. Wenn zwei aus verschiedenen Richtungen auf eine Kreuzung zukommen und Nachrang haben, muss einer von beiden doch Vorrang haben – auch wenn es zur endgültigen Klärung erst einer Kollision und dann einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bedarf. Eine solche ist jetzt gefallen: Wenn ein Radfahrer über das Ende eines Radwegs hinaus auf eine Kreuzung fährt und dabei sieht, dass ein von rechts kommendes Auto eine Nachrangtafel beachten muss, dann hat der Radfahrer Vorrang. Der Autofahrer muss warten, obwohl die Straßenverkehrsordnung besagt: „Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, haben anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben“.

(c) Illustration Vinzenz Schüller

Kreuzung mittlerweile entschärft

Den schmerzhaften Anlass für die Entscheidung bot ein Unfall im Jahr 2007 auf einer Kreuzung in Wien-Ottakring, die – wohl nicht zuletzt wegen ihrer Gefährlichkeit – mittlerweile umgestaltet worden ist. Ein Autofahrer fuhr in der Arltgasse in Richtung Thaliastraße und kam zur Kreuzung mit der von rechts einmündenden Hasnerstraße. Diese Querstraße wies eine Besonderheit auf: Sie endete für Autofahrer an dieser Kreuzung; in der geraden Linie weiter befahrbar war nur ein Radweg, der seinerseits von links kommend ebenfalls an dieser Kreuzung endete.

Der Autolenker hatte zu beachten: eine Nachrangtafel, ein Schild „Achtung Gegenverkehr“ und die Warnung „Radroute kreuzt“. Tatsächlich vergewisserte er sich, ob von rechts niemand komme und auch der Gegenverkehr ihn nicht störe. Was er aber, bedingt auch durch einen abgestellten Lieferwagen, nicht sah: dass sich zugleich ein Radfahrer von links näherte. Der hatte zwar die Nachrangtafel erkennen können, nahm aber das Auto zu spät wahr, weil auch für ihn die Sicht beschränkt war. Obwohl der Radler nur im Schritttempo quer über den Gehsteig hinweg unterwegs war (der Autofahrer fuhr etwa 25 km/h), war der Zusammenstoß nicht mehr zu verhindern. Der Radfahrer stürzte und brach sich die Schulter, das Auto wurde beschädigt.

Wer ist schuld? Der Autofahrer meinte (im Verein mit seiner Versicherung), der Radfahrer hätte stehen bleiben müssen, statt aus der Parkanlage zu „schießen“; die Nachrangtafel hätte sich ausschließlich auf den Verkehr auf der (Auto-)Straße bezogen. Der Radfahrer (vertreten durch die Kanzlei Galanda Oberkofler Rechtsanwälte) warf hingegen dem Autolenker vor, seinen – des Radfahrers – Vorrang verletzt zu haben.

Tatsächlich lässt sich beides argumentieren. Denn die Straßenverkehrsordnung verbindet sowohl mit der Nachrangtafel (§19 Abs4 StVO) als auch mit dem Ende des Radwegs (§19 Abs6a StVO) eine Wartepflicht gegenüber dem jeweils anderen Verkehrsteilnehmer. Wie das Landesgericht für Zivilrechtssachen und das Oberlandesgericht Wien gab aber auch der Oberste Gerichtshof dem Radfahrer den Vorrang. Begründung: Angesichts der Beschilderung sowohl mit dem Zeichen „Vorrang geben“ als auch mit einem Gefahrenzeichen samt Zusatztafel „Radroute kreuzt“ habe dem Autofahrer klar sein müssen, dass von rechts und links Radfahrer kommen konnten. Dass der Radweg an der Stelle endete, konnte er nicht sehen, während der Radfahrer das auf die Spitze gestellte Nachrang-Dreieck sehr wohl wahrnehmen konnte.

„Eindeutigere Regelung geht vor“

„Der erkennende Senat ist daher der Ansicht, dass auch bei dieser Kreuzungssituation im Hinblick auf die notwendige Schnelligkeit, mit der Verkehrsteilnehmer die Vorrangsituation beurteilen können müssen, und im Sinne einer möglichst einfachen Handhabbarkeit die eindeutigere Vorrangregelung des §19 Abs4 StVO vorzugehen hat“, formulierte der Gerichtshof (2Ob135/11h).

Eine „völlige Unachtsamkeit“, die den Radfahrer nach Meinung der Beklagten zumindest mitschuldig machte, sah der Gerichtshof nicht als nachgewiesen an. Die Haftung der Beklagten steht damit fest, wobei die Höhe des Schmerzengelds und des restlichen Schadenersatzes noch zu klären ist.

Im Wortlaut § 19 der Straßenverkehrsordnung regelt den Vorrang

§19 (1) Fahrzeuge, die von rechts kommen, haben, sofern die folgenden Absätze nichts anderes bestimmen, den Vorrang; Schienenfahrzeuge jedoch auch dann, wenn sie von links kommen.

(2) Einsatzfahrzeuge haben immer den Vorrang.

(3) Fahrzeuge, die auf einer Vorrangstraße fahren, haben den Vorrang gegenüber Fahrzeugen auf kreuzenden oder einmündenden Straßen.

(4) Ist vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ oder „Halt“ angebracht, so haben sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang. Ist jedoch auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt, so haben die Fahrzeuge, die auf dem dargestellten Straßenzug kommen, den Vorrang, unabhängig davon, ob sie dem Straßenzug folgen oder ihn verlassen; ansonsten gilt Abs. 1. Beim Vorschriftszeichen „Halt“ ist überdies anzuhalten.

(5) Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten oder nach rechts einbiegen, haben, sofern sich aus Abs. 4 nichts anderes ergibt, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeugen.

(6) Fahrzeuge im fließenden Verkehr haben den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von Nebenfahrbahnen, von Fußgängerzonen, von Wohnstraßen, von Haus- oder Grundstücksausfahrten, von Garagen, von Parkplätzen, von Tankstellen, von Feldwegen oder dgl. kommen.

(6a) Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, haben anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben (...) [Illustration: Vinzenz Schüller]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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