Einigung: Bürger dürfen künftig alle Gesetze anfechten

Einigung Buerger duerfen kuenftig
Einigung Buerger duerfen kuenftig(c) Illustration Vinzenz Schüller
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Die Parlamentsparteien beschließen, dass Rechtsuchende auch selbst Zivil- und Strafnormen vor den Verfassungsgerichtshof bringen dürfen. Neue Regeln wird es in Zukunft auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geben.

Wien. Spektakulär wie selten noch werden am Mittwoch die Beschlüsse des parlamentarischen Verfassungsausschusses ausfallen. Denn die Reformen im Gerichtsbereich betreffen jeden Bürger.

Im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichte wird man nun auch Bürgern im Zivil- und Strafrechtsbereich neue Rechte geben. Wer in einem Prozess behauptete, dass er von einem verfassungswidrigen Gesetz betroffen ist, konnte bisher nämlich nicht selbst zum Verfassungsgerichtshof (VfGH) gehen. Der Bürger konnte nur anregen, dass das Zivil- oder Strafgericht die Norm den Verfassungshütern vorlegt. Wenn das Gericht aber nicht vorlegen wollte, war der Rechtsuchende machtlos. Künftig wird das anders: Bürger werden sich im Zuge der neuen Gesetzesbeschwerde direkt an den VfGH wenden können, wenn das Zivil- oder Strafgericht die Vorlage verweigert hat. Wie „Die Presse“ erfuhr, werden die fünf Parlamentsparteien am Mittwoch einen entsprechenden Entschließungsantrag verabschieden.

Das konkrete Gesetz dazu soll nun im Kanzleramt ausgearbeitet und bis 20. Juni dem Parlament übermittelt werden. Dabei gilt es, sich auf rechtlich neues Terrain zu begeben. Schließlich soll es künftig möglich sein, dass ein bereits rechtskräftiges Urteil eines Zivil- oder Strafgerichts wieder außer Kraft tritt. Nämlich dann, wenn der Betroffene vor dem VfGH erreicht, dass die Norm, die dem Urteil zugrunde liegt, aufgehoben wird. Vor allem diese Neuerung stößt den Zivil- und Strafrichtern am Obersten Gerichtshof (OGH) sauer auf. Sie hatten von der Politik (vergeblich) verlangt, auf die Neuerung zu verzichten, damit rechtskräftige Urteile auch rechtskräftig bleiben. Sonst, so die Befürchtung des OGH, komme es zu Verzögerungen, die dem Wirtschaftsstandort Österreich schaden. Der Verfassungsgerichtshof hingegen befürwortet die Reform.

Bereits in Gesetzesform gegossen wird am Mittwoch die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die zahlreiche Verfassungsänderungen nötig macht. Mehr als 120 Senate und Sonderbehörden werden abgeschafft. Ihre Aufgaben übernehmen abhängig von der Materie neun Landesverwaltungsgerichte (für jedes Bundesland eines) bzw. zwei Bundesverwaltungsgerichte (ein allgemeines und eines für Finanzen). Das bringt für den Bürger den Vorteil, dass er bei Beschwerden gegen Bescheide (etwa bei Baugenehmigungen, in Steuerfragen oder bei Verkehrsdelikten) sofort zu „echten“ Berufsrichtern kommt. Über den Landes- und den Bundesverwaltungsgerichten steht dann noch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH), der sich aber nur mehr mit Fällen, in denen die Rechtslage unklar ist, beschäftigen soll.

Anwälten entgegengekommen

Gegenüber dem Regierungsentwurf gibt es aber noch bedeutsame Änderungen, die der parlamentarische Ausschuss am Mittwoch beschließt:
•Wenn eines der neuen Verwaltungsgerichte mit der Entscheidung säumig ist, muss nun doch nicht stattdessen der VwGH entscheiden. Der VwGH selbst hat sich gegen diese Variante gewehrt. Stattdessen wird der VwGH der Unterinstanz nur eine Frist zur Entscheidung setzen. Hintergrund sind die oft sehr komplexen verwaltungsrechtlichen Verfahren, die für die Richter der ersten Instanz leichter zu lösen sind, weil sie Zugang zu Sachverständigen haben. Wenn die Richter der Unterinstanz aber die vom VwGH gesetzte Frist verstreichen lassen, drohen den Richtern dienstrechtliche Konsequenzen.
•Wenn der VwGH jedoch nach einer bereits ergangenen Entscheidung der Unterinstanz angerufen wird, erhält er neue Möglichkeiten. Bisher konnte das Höchstgericht Entscheidungen der unteren Instanzen bloß aufheben. Künftig kann der VwGH auch in der Sache selbst entscheiden, wenn er das für geboten erachtet.
• Die Politik kommt zudem den Anwälten entgegen. Diese hatten sich dagegen gewehrt, dass künftig Verwaltungsrichter bei standesrechtlichen Fragen das letzte Wort haben sollten. Nun wird das letzte Wort beim Obersten Gerichtshof liegen. Und an den Entscheidungen können nun als Laienrichter auch Personen, die aus der Anwaltschaft kommen, mitwirken.

Neue Gerichte ab 2014 am Werk

Nachdem der Ausschuss sein Werk vollendet hat, wird die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit noch Mitte Mai vom Nationalrat abgesegnet, der Beschluss im Bundesrat ist für Ende Mai geplant. Damit sind dann die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die neuen Gerichte fixiert. Detaillierte Regelungen im einfachgesetzlichen Rang müssen dann noch bis spätestens Anfang 2014 folgen: Denn in diesem Jahr sollen die neuen Gerichte ihre Arbeit aufnehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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