Türken-Urteil: Ohne Umsetzung drohen hohe Zahlungen

TuerkenUrteil Ohne Umsetzung drohen
TuerkenUrteil Ohne Umsetzung drohen(c) Clemens Fabry
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Laut Innenministerium könnten Türken die Republik klagen, wenn man bei den Integrationspflichten bleibt. Auf der Hand liegt, dass in der Integrationspolitik Fehler passiert sind.

Wien. Deutsch vor Zuzug, die Integrationsvereinbarung oder strengere Regeln beim Nachzug von Angehörigen. All das sind Maßnahmen, die Österreich in den vergangenen Jahren getroffen hat, um eine bessere Integration von Zuwanderern zu gewährleisten. Doch für Türken gelten die neuen Regeln nicht, wie Urteile des EU-Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs zeigten. Grund ist ein vor Jahrzehnten geschlossenes Abkommen zwischen der EU und der Türkei, nach dem sich die Bestimmungen für Türken nicht verschlechtern dürfen. In Österreich haben die Gesetze für Türken nicht strenger zu sein als beim EU-Beitritt 1995.

Das Innenministerium habe bereits die Behörden angewiesen, die strengeren Regeln für Türken nicht mehr anzuwenden, erklärte beim letztwöchigen „Rechtspanorama am Juridicum“ Peter Webinger von der Rechtssektion des Innenministeriums. Es bleibe nichts anderes übrig, denn „sonst werden wir ein blaues Wunder erleben“, sagte der Jurist. Betroffene Türken könnten sonst nämlich nicht nur das Recht einklagen, ins Land zu kommen. Sie könnten auch von Österreich die Beträge fordern, die sie bereits hier erwirtschaftet hätten, wenn man sie zeitgerecht ins Land gelassen hätte.

Absichtlich bei Test durchfallen?

Im Zusammenhang mit den Sprachtests (die Österreich nun von Türken vor dem Zuzug nicht mehr verlangen darf) machte Experte Wolfgang Kratky auf ein Phänomen aufmerksam. So habe sich etwa in Deutschland gezeigt, dass manche Frauen absichtlich bei dem Sprachtest durchgefallen sind, um Zuwanderung und Zwangsheirat zu entgehen. Eigentlich war Kratky aber auf dem Podium, um über das von ihm geleitete „Hippy Hausbesuchsprogramm“ zu berichten. Dieses Projekt wendet sich auf freiwilliger Basis an bildungsbenachteiligte Familien, die oft aus dem migrantischen Bereich stammen. Es gilt vor allem, Kinder bereits vor dem Schuleintritt zu fördern. Bei dem Projekt erhält die Familie einmal pro Woche Besuch von einem Betreuer, der Lern- und Spielmaterial bringt. Mit dessen Hilfe sollen Eltern ihr Kind auch unter der Woche fördern. Kratky sprach von einem Erfolgsprojekt: „Hippy-Kinder haben einen höheren Bildungsgrad und sind seltener arbeitslos.“

Auf der Hand liegt, dass in der Integrationspolitik Fehler passiert sind. Lange Zeit habe eine linksliberale Kultur ohne Verpflichtungen geherrscht, analysierte Soziologe Kenan Güngör. Damals habe man Probleme ausgeblendet. Und dann hätten die Rechten das Thema übernommen, aber „mit einer anderen Geisteshaltung, mit starker Fremdenfeindlichkeit“. Der Integrationsexperte sprach sich für einen „klugen Mix“ aus Maßnahmen bei der Migration aus.

„Komplexe Situationen sind nicht durch einfache Lösungen zu bewältigen“, sagte auch Hildegard Weiss, Soziologin an der Uni Wien. Und Richard Potz, Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Uni Wien, erinnerte daran, dass Österreich und Europa zunächst ungeplant zu einer Gegend für Einwanderer wurden: „Lange hat man gesagt, wir sind kein Einwanderungsland. Jetzt marschieren wir auf amerikanische Verhältnisse zu“, analysierte der Professor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

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