Familienrichterin: "Leute sollten nicht so blauäugig sein"

(c) Clemens Fabry
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Die Menschen bräuchten mehr Infos über Ehe und Lebensgemeinschaft, meint Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Familienrichter. Sonst gebe es böse Überraschungen.

Die Presse: Welcher Änderungsbedarf besteht im Familienrecht?

Doris Täubel-Weinreich: Die nun von der Politik angedachten Reformen sind richtig. Bei der Durchsetzung des Besuchsrechts müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden. Man soll Leute zu einer verpflichtenden Erziehungsberatung zwingen können. Dazu kommen die Reformen, die nach dem Urteil des Menschengerichtshof nötig sind: Uneheliche Väter müssen ein Antragsrecht für die Mitobsorge bekommen. Und dass nach der Scheidung künftig der Richter die gemeinsame Obsorge festlegen können soll, ist auch zu begrüßen. Es wird aber viel Arbeit machen; denn alle in der Vergangenheit Geschiedenen, die kein Sorgerecht haben, könnten dann einen solchen Antrag stellen.

Wird die gemeinsame Obsorge nach der Scheidung dann künftig zur Regel?

Es steht ja jetzt schon im Gesetz, dass die gemeinsame Obsorge gewünscht ist. Künftig soll sie zwar ausgeweitet werden, es wird aber keinen Automatismus geben. Die Änderung bedeutet nur, dass der Richter auch dann eine gemeinsame Obsorge verordnen kann, wenn ein Elternteil sie nicht will. Und es gibt schon Fälle, in denen das Kind eine enge Bindung zu beiden Eltern hat, aber das Paar nicht miteinander kann. In solchen Fällen könnte ich mir vorstellen zu sagen: „Probiert die Obsorge einmal gemeinsam.“ Aber wenn Gewalt im Spiel ist, wird es keine gemeinsame Obsorge geben.

In wie vielen Fällen würde der Richter dann eine automatische gemeinsame Obsorge festlegen?

De facto nicht in den vielen höchst strittigen Fällen. Aber es gibt ja auch vernünftige Eltern, die nur nicht so vernünftig sind, dass sie sich einigen. Und für diese würde sich dann die neue Möglichkeit eignen.

Hat nach der Novelle z. B. ein Mann eine Chance, das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen, wenn lange Zeit nur die Frau das Sorgerecht innehatte?

Ich glaube schon, dass das in einigen Fällen so sein wird. Es geht ja nicht um eine Änderung des Hauptwohnsitzes, sondern nur darum, dass der andere Elternteil auch ein Sorgerecht erhält. In der Praxis würde sich für die Frauen nicht viel ändern, außer dass der Vater nun auch für das Kind unterschreiben darf.

Für Aufsehen sorgte zuletzt am Juristentag ein Gutachten zweier Zivilrechtlerinnen: Diese fordern, dass auch eine bloße Lebensgemeinschaft Unterhaltsanprüche auslösen soll. Was halten Sie denn von dieser Idee?

Davon halte ich nichts. Diese Ideen resultieren daraus, dass ein unglaubliches Informationsdefizit besteht. Viele Leute glauben, dass man nach drei Jahren des Zusammenlebens irgendwelche Rechte hat, und bauen ihr Leben auf Mythen auf. Diese Mythen stammen aus dem Mietrecht, in dem man tatsächlich nach drei Jahren Rechte hat – aber mit Unterhalt oder Erbrecht hat das nichts zu tun. Es braucht mehr rechtliche Aufklärung, etwa dass es die Möglichkeit eines Testaments gibt.

Sie sind also gegen gesetzliche Regelungen, aber die Leute sollten besser über mögliche freiwillige Vereinbarungen informiert sein?

Ja, hier ist mehr Information vonnöten. Vielleicht überlegen sich die Leute dann selbst, wie sie alles regeln. Die Idee, ich heirate nicht, damit ich nachher nicht streite, ist nämlich ein Trugschluss. Man streitet oft noch mehr, wenn die Expartner als Gesellschaft bürgerlichen Rechts alles auseinanderdividieren müssen. Vielleicht beschließen einige, wenn sie informiert sind, auch zu heiraten, weil das aus manchen Gründen – etwa wegen der Witwenpension – besser ist.

Sollte man dann vor der Eheschließung eine verpflichtende Rechtsberatung einführen?

Das wäre sehr sinnvoll. Diese Beratung könnten auch Standesbeamte machen, um das Problembewusstsein zu schärfen. Dass man Broschüren verteilt und die Leute unterschreiben lässt, dass sie diese gelesen haben, wäre schon ein Fortschritt. Aber eigentlich sollten die Leute sich selbst bei einem so wichtigen Rechtsgeschäft wie der Ehe um Informationen kümmern und nicht so blauäugig sein.

Sind Leute, die sich scheiden lassen, von den Folgen überrascht?

Teilweise sind sie das wirklich. Es gibt noch immer Leute, die glauben, dass in einer Hausfrauenehe das Sparbuch dem Mann allein gehört, weil sie ja nichts verdient hat.

Das Leben als Familienrichter gilt als nicht einfach, wo liegen die Probleme?

Die Erwartungshaltung der Leute an die Familienrichter ist sehr groß. Wir sollen alles besonders schnell und besonders toll machen und einfühlsam umgehen. Und diese Erwartungshaltung wird zusammen mit dem Druck durch die viele Arbeit und die vielen Akten wirklich zum Problem. Die Burn-out-Fälle nehmen zu. Und die Fluktuation ist im Familienrecht besonders hoch. Es gibt Fälle, die in zwei Jahren von fünf verschiedenen Richtern betreut werden. Und wenn man dann immer wieder einem neuen Richter seine persönlichste Geschichte erzählen soll, ist das für die Leute schon sehr unangenehm.

Es gibt Familienrichter, die wechseln bei der ersten Möglichkeit zu einer anderen Stelle. Warum ist das so?

Weil andere Bereiche weniger emotional sind. Bei allen erstinstanzlichen Gerichten liegt der Schwerpunkt im Erheben des Sachverhalts, also herauszufinden, wer lügt und wer nicht. Das ist bei uns schwieriger, weil es oft keine Zeugen oder Sachverständige gibt. Wenn jemand hauptsächlich Rechtsprobleme lösen will, sollte er in die Instanz gehen.

Gerade das ist aber für Familienrichter nicht so leicht – Karriere zu machen und in eine höhere Instanz zu wechseln.

Das stimmt. Dahinter steht leider der Vorwurf, dass wir weniger rechtlich arbeiten als andere Sparten. Dem muss man aber entgegnen, dass unsere Arbeit durch die vielen EU-Abkommen so kompliziert geworden ist, dass man eigene Fortbildungen benötigt. Und auch im Außerstreitrecht ist vieles noch nicht ausjudiziert. Es gibt also schon Rechtsprobleme bei uns. Die Behauptung, dass ein Familienrichter nur mit weinenden Frauen und aggressiven Männern umgehen kann, ist einfach falsch.

Von wem kommen solche Sätze, von Richtern aus anderen Sparten?

Ja. Es gibt diese Vorurteile.

Wie könnte man den Job des Familienrichters aufwerten?

Eine Idee wäre ein Einheitsgehalt für Richter, egal, in welcher Instanz sie arbeiten. Dann könnte man sagen, jeder Richter soll einfach das machen, wofür er sich am besten geeignet hält. Denn es gibt Richter, die am liebsten Akten beim Rechtsmittelgericht erörtern, und andere, die lieber in erster Instanz die Sachverhalte klären. Karriere soll nicht mehr länger bedeuten, dass man irgendwann in eine höhere Instanz berufen wird. Spannend fände ich auch, wenn man als Richter im Lauf der Tätigkeit einmal in die höhere Instanz geht und dann wieder zurück – so erhält man neue Perspektiven.

Sie wünschen sich also eine Art Erasmus-Jahr für Richter?

Ja, aber es können auch zwei, drei Jahre in der höheren Instanz sein. Wenn momentan jemand von der Instanz wieder zu einem Erstgericht zurückkehrt, wird ihm gleich nachgesagt, dass er die Arbeit in der höheren Instanz nicht zusammengebracht hat. Dabei ist es ja schön, wenn jemand erkennt, dass er lieber direkt mit Leuten verhandelt. Mit einem Einheitsgehalt würde man einen Wechsel anders sehen. Nur beim Obersten Gerichtshof müsste man eine Zulage einführen, damit dort nicht nur Wiener sitzen, sondern auch Leute aus anderen Orten bereit sind, zum OGH nach Wien zu gehen.

Auf einen Blick

Doris Täubel-Weinreich leitet die Fachgruppe Familienrichter in der Richtervereinigung und ist selbst am Bezirksgericht Wien Innere Stadt tätig. Von Mittwoch bis Freitag treffen sich die Familienrichter beim „25. FamilienrichterInnentag“ in Salzburg. Auf dem Programm stehen unter anderem Diskussionen über den Reformbedarf in der Familiengerichtsbarkeit. Auch die Themen „Familienrichter gern sein und bleiben“ oder die Verfahrensoptimierung werden erörtert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2012)

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