Experte warnt: Pflichtteilsrecht wird ausgehöhlt

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Erbrechtsreform. Schenkungen zu Lebzeiten sollen nur noch befristet berücksichtigt werden.

Wien. Die geplante Reform des Erbrechts erleichtert die Umgehung des Pflichtteilsrechts. Davor warnt Manfred Umlauft, Notar in Dornbirn und Lehrbeauftragter an der Uni Innsbruck. Seiner Meinung nach droht das Pflichtteilsrecht seine Funktion einzubüßen, beim Erben einen gewissen Ausgleich zwischen den Angehörigen zu sichern.

Das Pflichtteilsrecht gibt den nächsten Angehörigen – künftig den Kindern und dem (Ehe-)Partner des Verstorbenen – einen Anspruch auf die Hälfte der gesetzlichen Erbquote, sofern sie in einem Testament nicht entsprechend bedacht sind. Ein Beispiel für die Funktionsweise des Pflichtteilsrechts: Hinterlässt eine Witwe zwei Kinder und vermacht einem davon mit einem Testament alles, so hat das andere einen Anspruch auf ein Viertel des Nachlasses. Denn: Hätte die Witwe kein Testament verfasst, wäre die gesetzliche Erbfolge eingetreten und jedes der beiden Kinder hätte die Hälfte geerbt. Und die Hälfte von dieser Hälfte ist das besagte Viertel.

Derzeit werden in die Pflichtteilsbemessungsgrundlage auch jene Schenkungen einbezogen, die der Verstorbene irgendwann zu Lebzeiten an (andere) nahe Angehörige gemacht hat. Justizminister Wolfgang Brandstetter will dies künftig mit zehn Jahren befristen und dabei auch die Bewertung ändern: auf den Zeitpunkt der Zuwendung mit Valorisierung nach dem Verbraucherpreisindex. Demgegenüber werden Schenkungen bisher nach den Wertverhältnissen zum Todeszeitpunkt des Erblassers berücksichtigt, wobei Investitionen, die der Beschenkte getätigt hat, außer Betracht bleiben.

„Durch die beiden Änderungen wird es künftig relativ einfach möglich sein, das Pflichtteilsrecht zu umgehen. Einerseits wird es mit der heutigen Lebenserwartung leicht fallen, Schenkungen mehr als zehn Jahre vor dem Tod zu machen“, sagt Umlauft. Die neue Bewertungsregelung deute in dieselbe Richtung: Durch Vorbehalt eines Wohnungs- oder Fruchtgenussrechts könne der Wert einer zugewendeten Sache, etwa einer Wohnung oder eines Hauses, entscheidend reduziert werden. Auch Wertsteigerungen etwa infolge einer Umwidmung von Grün- in Bauland blieben unberücksichtigt.

„Erbschleicherei effizienter“

Umlauft ortet eine „erhebliche Aushöhlung des Pflichtteilsrechts“. Wer es als hinderlich empfinde, könne es nach den geplanten neuen Regeln relativ leicht umgehen. „Die Beeinflussung des Erblassers – härter ausgedrückt: die Erbschleicherei – wird effizienter werden.“ Seiner Ansicht nach gewährleistet das Pflichtteilsrecht in seiner bisherigen Form eine gewisse Mindestverteilungsgerechtigkeit in der Familie. Als Korrektiv zum Schwinden der Willensbildungskraft im Alter sorge es dafür, dass die nächsten Angehörigen eine gewisse Mindestportion des Vermögens des Erblassers erhielten. Umlauft ist mit seiner Sorge ums Pflichtteilsrecht nicht allein: Auch der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat sich dafür ausgesprochen, Schenkungen wie bisher unbefristet zu berücksichtigen und bei der bisherigen Wertermittlung zu bleiben.

Positiv beurteilt Umlauft, dass Pflichtteilsansprüche künftig gestundet werden können, um einer Zerschlagung vererbter Unternehmen vorzubeugen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2015)

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