VW-Skandal: Die ferne Stiftung als Hoffnungsträger

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Angesichts der massenhaften Schadensfälle wird das Fehlen einer echten österreichischen Sammelklage deutlich. Hollands Rechtssystem könnte punktuelle Abhilfe schaffen.

Wien. Vergangenen Frühling kam findigen Teilnehmern des österreichischen Juristentags eine Idee. Um die lahmende „Sammelklage österreichischer Prägung“ zu umschiffen, könnten sich Österreicher einem niederländischen Sammelvergleich anschließen, ging die Nachricht um. Als im September der VW-Abgasskandal publik wurde, kam diese Erkenntnis höchst gelegen. Österreichs Verein für Konsumenteninformation (VKI) stand neben anderen europäischen Interessenverbänden Pate, als diesen Herbst die niederländische Stiftung Stichting VW Car Claim aus der Taufe gehoben wurde.

„Wir sehen nicht ein, weshalb Konsumenten in den USA – weil es dort Sammelklagen gibt – Schadenersatz bekommen sollen, europäische Verbraucher aber – mangels effizienter Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes – übrig bleiben“, lancierte VKI-Rechtsabteilungsleiter Peter Kolba Ende September eine online eingerichtete Sammelaktion, die auf das niederländische Stiftungsmodell aufmerksam machen sollte. Um valide Schadenersatzansprüche österreichischer VW-Fahrer – von 360.000 betroffenen Dieselfahrzeugen ist derzeit die Rede – prüfen zu können, sei es noch zu früh. Dass solche bestünden und die Zahl der Geschädigten beträchtlich sei, ist aber gewiss. Das würde laut Kolba für den Start der Vergleichsverhandlungen reichen. 20.000 VW-Kunden hätten sich bereits beim VKI gemeldet, 8000 davon alle nötigen Daten in die Onlinemaske eingetragen.

Ausweichroute – mit Grenzen

„Wir müssten gar nicht sammeln“, betont Kolba. Denn anders als der österreichische Behelf deckt der niederländische Sammelvergleich, der seit seiner Einführung 2005 in mehreren internationalen Fällen zum Einsatz kam, die Ansprüche aller potenziell Geschädigten ab. Die außergerichtliche Einigung muss für ihre Wirksamkeit anschließend vom Amsterdamer Gerichtshof geprüft und nach einer Opt-out-Frist für verbindlich erklärt werden. Was aber passiert nun, sollte der niederländische Vergleichsversuch scheitern? „Das halte ich für ein unrealistisches Szenario“, wehrt der Konsumentenschützer ab. Doch hier tut sich eine Lücke auf: Holland, Europas Musterschüler im rechtlichen Umgang mit Massenschäden, sieht zwar eine Feststellungs-, aber keine Leistungsklage vor. Die Stiftung kann also feststellen lassen, dass VW für die vorgebrachten Schäden haftet, den Konzern jedoch nicht direkt auf Schadenersatz klagen. Diese Tatsache ist dort zurzeit Auslöser rechtspolitischer Diskussionen. Die niederländische Rute im Fenster hat weniger Schlagkraft, als Verbraucherschützern lieb wäre.

Alexander Klauser von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Brauneis Klauser Prändl stellt klar, dass bei Scheitern der Vergleichsverhandlungen alles weitere offen ist. „Solange man sich zu einem Vergleich zusammenrauft, ist alles fein“, betont er. Klauser sieht im Fall eines Scheiterns die entscheidende Frage darin, ob österreichischen Betroffenen stattdessen eine Sammelklage nach niederländischem Recht zur Verfügung steht oder sie auf das österreichische Rechtsschutzinstrument zurückgeworfen werden. Denn: „Für den Verbraucher geht bei Abtretung seiner Forderung an die Verbraucherschutzorganisation grundsätzlich der Klägergerichtsstands (in Österreich, Anm.) verloren.“ Die Zuständigkeit des angerufenen, niederländischen Gerichts wird daher schnellstens von dem Beklagten ins Treffen geführt werden, ist sich der Anwalt sicher. Im Gang nach Holland wie auch dem potenziellen Rückzug von dort würde das „eklatante Rechtsschutzdefizit“ im Bereich der Massenschäden hierzulande eindrücklich zur Schau gestellt, so der Verbraucherrechtsexperte. „Österreich ist beim kollektiven Rechtsschutz leider ein Entwicklungsland.“

Seiner Ansicht nach ist der Ruf der Sammelklage als „staatlich lizenzierte Erpressung“ nicht gerechtfertigt. Hier würde zu sehr auf die amerikanischen Zustände geschielt: „Was man in Europa gemeinhin mit der US-Class-Action assoziiert, sind überzogene, leichtfertig erhobene Forderungen, die Unternehmen auch in ungerechtfertigten Fällen gezwungen sind zu erfüllen, um sich nicht existenzbedrohenden Klagen auszusetzen“, resümiert er. Was viele dabei aus den Augen verlieren: Auf Basis des österreichischen Rechtssystems könne es nie zu den fantastischen US-Schadensummen kommen. Denn hierzulande gebe es weder Erfolgshonorare für Anwälte noch aufgebauschte Geschworenenprozesse oder horrende Bußzahlungen zu Abschreckungszwecken.

Beklagte als Leidtragende

Konsumentenschützer wie Anwalt sind sich einig, dass das Veto der österreichischen Wirtschaft gegen eine echte österreichische Sammelklage nicht zuletzt den Unternehmern selbst schadet. „Die Stiftungslösung“, so Kolba mit Verweis auf die Niederlande, „ist eigentlich im Sinn der Unternehmer.“ Durch das Opt-out-System soll der Autobauer nach abgeschlossenem Vergleich nur mehr mit vereinzelten gleich gelagerten Ansprüchen jener, die hinausoptiert haben, rechnen müssen. Klauser: „Potenzielle Haftungsadressaten müssten eigentlich froh sein, diese Haftungsfälle aus ihren Büchern zu bekommen.“

Eine echte österreichische Sammelklage wird seiner Ansicht nach nur unter zwei Grundvoraussetzungen funktionieren: Sie muss für die Kläger finanzierbar sein und dem Anspruchsgegner die Möglichkeit geben, in absehbarer Zeit den Schaden überblicken zu können. „Alles andere ist die halbe Miete.“

AUF EINEN BLICK

VW-Vergleich. Österreichs VKI will sich einem niederländischen Vergleichsverfahren gegen VW anschließen. Mittels eigens gegründeter holländischer Stiftung sollen die Schadenersatzforderungen geschädigter europäischer Konsumenten gegen den Konzern geltend gemacht werden. Holland ist mit seinem Sammelvergleich Europas Vorreiter bei Massenschadenersatzfällen. In Österreich ist nach wie vor eine 1999 entwickelte Lösung in Kraft, bei der der VKI nur die eigens an ihn abgetretenen Ansprüche vergleichen oder einklagen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)

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