Ungemach für Versicherungen durch Formfehler

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Symbolbild(c) . (Erwin Wodicka)
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Einige Kunden können unbefristet von ihrem Vertrag zurücktreten.

Wien. Lebensversicherungen hatten in den vergangenen Jahren keinen besonders guten Ruf. Konsumentenschützer beklagten immer wieder die hohen Kosten der Produkte. Die Niedrigszinspolitik der Notenbanken lässt die Rentabilität der Polizzen noch weiter erodieren. Erst zu Jahreswechsel reduzierte die Finanzmarktaufsicht den sogenannten Garantiezinssatz für Lebensversicherungen auf ein Prozent. Das ist jener Wert, den die Assekuranzen ihren Kunden maximal versprechen dürfen.

Als wäre das nicht genug, könnte nun auch noch ein Urteil des Obersten Gerichtshofes die Stimmung in der Branche dämpfen. Dieses erging bereits vergangenen Herbst und besagt, dass eine fehlerhafte Belehrung des Versicherungsnehmers über die Rücktrittsfrist zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht führt. So entschied der Europäische Gerichtshof schon 2013. Damals hatte ein Deutscher die Höchstrichter angerufen.

Diesmal hat ein Konsument in Österreich geklagt und Recht bekommen. Er schloss im Jahr 2006 eine fondsgebundene Lebensversicherung ab. Ihm wurde eine Rücktrittsfrist von 14 Tagen gewährt. Doch die gesetzliche Frist lag damals bereits bei 30 Tagen. Dieser Fehler zog ein unbefristetes Rücktrittsrecht für den Kunden nach sich. Die Versicherung musste die einbezahlten Prämien an den Versicherungsnehmer zurückerstatten. Die Risikoprämie für den Ablebensschutz wurde nicht rückvergütet.

Verträge unter Wasser

„Wir wissen noch nicht, ob das Urteil eine Lawine nach sich zieht“, sagt Thomas Hirmke vom Verein für Konsumenteninformation. Man sei gerade dabei, zu erheben, ob die Belehrung der Konsumenten falsch gewesen sei oder gefehlt habe. In Österreich gibt es rund zehn Millionen Lebensversicherungsverträge. „Auch wenn nur 20 oder 30 Prozent der Kunden davon betroffen wären, wäre es also viel“, so Hirmke.

Interessant könnte ein Rücktritt vor allem für jene sein, deren Verträge unter Wasser sind, die ihre Prämie ruhend gestellt haben oder bei einem Rückkauf der Polizze (also einer vorzeitigen Kündigung ihres Vertrags) weniger zurückerhielten, als sie einst einbezahlt hatten. Für jene Verträge, die seither normal ausgelaufen sind, so Hirmke, könne man aber wohl davon ausgehen, dass die Kunden eher Erträge als Verluste erzielten.

Pikant ist das Urteil auch deswegen, weil es für all jene Polizzen anwendbar sein dürfte, die zwischen 1994 und Mitte 2012 abgeschlossen wurden, wie Franz Kallinger vom Prozessfinanzierer Advofin sagt. Er geht davon aus, dass die Konsumenten ihre gesamte einbezahlte Prämie zurückverlangen könnten, plus jährlich vier Prozent an Zinsen. Wer eine Lebensversicherung für die Dauer von 20 Jahren abgeschlossen hat und bereits nach fünf Jahren aus seinem Vertrag aussteigt, fährt in der Regel herbe Verluste ein. Das Geschäft rentiert sich meist erst nach der Hälfte der Laufzeit. Bei Vertragsabschluss fallen Gebühren und Provisionen an, die von den Prämien abgezogen werden. Erst was davon übrig bleibt, wird veranlagt. Bis diese Verluste eingeholt werden, dauert es. Bei einer Laufzeit von 15 Jahren könne es jedoch sein, dass man mit einem Vertragsrücktritt schlechter gestellt sei als mit einer normalen Kündigung, sagt Hirmke.

Wie sich Konsumenten nun verhalten sollen, darauf gebe es jedoch keine Pauschalantwort, erklärt Hirmke. „Wir schauen uns die Verträge an und sagen den Konsumenten dann, ob ihre Rücktrittsbelehrung rechtens war oder nicht.“ Musterverfahren schließt der Jurist nicht aus. Bei Advofin wiederum hat man inzwischen 600 Verträge gesichtet.

Einzelfälle bei Versicherungen

Der Versicherungsverband teilte auf Anfrage mit, er gehe davon aus, dass sich seine Mitglieder rechtskonform verhalten hätten, und spricht von Einzelfällen. Nicht betroffen von dem Urteil fühlt sich die Allianz Österreich. Man habe keine Klagen dazu anhängig und glaube auch nicht, dass man künftig von welchen betroffen sein werde. Bei der Generali-Versicherung wiederum gibt es einige Kunden, die von ihrem Vertrag zurücktreten würden. Das Unternehmen betont, seine Kunden korrekt belehrt zu haben. „Es ist jedoch möglich, dass bei einzelnen Fällen insbesondere aufgrund von Gesetzesänderungen die daraus erforderlichen Änderungen der Druckdokumente verspätet umgesetzt wurden.“ Rücktrittswelle erwartet die Gesellschaft jedoch keine.

Ein Dutzend Kundenanfragen in der Angelegenheit sind bereits bei der Wiener Städtischen eingelangt. Diese prüfe man nun individuell. Aus jetziger Sicht könne man aus dem Prüfungsergebnis aber ableiten, dass dieses Thema von „keiner wirtschaftlichen Relevanz ist“, wie es vonseiten der Versicherung dazu heißt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2016)

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