Schutzschirm: Insolvenzreform gefährdet Standort

Schutzschirm Insolvenzreform gefaehrdet Standort
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Die geplante Auflösungssperre für Verträge mit insolventen Unternehmen soll deren Weiterführung erleichtern, kann aber fatale Folgen für den Vertragspartner haben.

WIEN. Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 soll mit einem „Schutzschirm“ gegen Vertragsauflösungen den Fortbetrieb und damit die Rettung insolventer Unternehmen erleichtern. So findet sich in §25a der neuen Insolvenzordnung (IO) eine zwingende Auflösungssperre für Verträge mit insolventen Unternehmen für sechs Monate ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Demnach ist eine Kündigung wegen verschlechterter wirtschaftlicher Verhältnisse des Vertragspartners (v. a. Konkurseröffnung) oder Verzug mit vor Konkurseröffnung fällig gewordener Forderungen nicht möglich, es sei denn, die Vertragsauflösung ist zur Abwehr schwerer persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteile des Vertragspartners unerlässlich. Die Sperre gilt nur dann, wenn die Auflösung die Fortführung des Unternehmens gefährden könnte. Diese Voraussetzung wird aber im Zweifel immer vorliegen, sodass die Sperre sehr oft greifen wird. Ein „schwerer persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteil“ wird nach geltendem Insolvenzrecht erst dann gesehen, wenn dem Gläubiger selbst Zahlungsunfähigkeit droht. Die wortgleiche Formulierung in § 25a IO lässt befürchten, dass der Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung extrem eng sein wird.

Ein fiktives Beispiel: Der österreichische Anlagenbauer A kämpft gegen starke internationale Konkurrenz um einen ausländischen Großauftrag für ein geplantes Wasserkraftwerk. Es geht um die Lieferung der Turbinen und Generatoren. Will der Errichter A den Zuschlag geben, hat er in Zukunft das Problem, sich bei Insolvenz von A während Abwicklung des Auftrags nicht vom Vertrag lösen zu können. Die Folgen für den Auftraggeber können fatal sein: Im Extremfall ist die Vertragserfüllung sechs Monate lang ungewiss.

Sorge um ausländische Aufträge

Auf Drängen der Wirtschaft, die den Verlust ausländischer Aufträge befürchtet hat, wurde der Entwurf um die Regelung ergänzt, dass sich der Masseverwalter (nun „Insolvenzverwalter“) auf Aufforderung binnen fünf Tagen zu erklären hat, ob er in den Vertrag eintritt (§ 21 Abs 2 IO). Tut er es nicht, gilt dies als Rücktritt. Auf die praktische Unmöglichkeit, diese kurze Frist bei komplexeren Verträgen einzuhalten, wurde bereits hingewiesen (Raoul Wagner im Rechtspanorama vom 22. März). Es ist leicht abzusehen, dass Vertragspartner von § 21 Abs 2 IO Gebrauch machen werden, Masseverwalter sich nicht rechtzeitig erklären (können) und insolvente Unternehmen überlebenswichtige Verträge verlieren werden. Dies gefährdet heimische Arbeitsplätze.

Als Abhilfe könnte die Erklärungsfrist von der Komplexität des Sachverhalts abhängig gemacht werden. Allerdings wird – besonders für ausländische Auftraggeber – die Vergabe von Leistungen an österreichische Unternehmen umso weniger attraktiv sein, je länger die Frist sein kann. Eine weitere, allenfalls zusätzliche Möglichkeit wäre klarzustellen, dass die Auflösungssperre nicht erst bei drohender Insolvenz des Vertragspartners wegfällt.

Besonders in internationalen Verträgen finden sich oft Klauseln, die eine Kündigung wegen Nichteinhaltung bestimmter Bonitätskriterien (Financial Covenants) durch einen Vertragspartner ermöglichen. Zu denken ist etwa an einen Autozulieferer, der eine Lizenz eines ausländischen Unternehmens für die Komponentenproduktion benötigt. Kann nun nach Eröffnung des Konkurses wegen eines Covenant Breaches nicht mehr gekündigt werden, werden die Covenants tendenziell häufiger geprüft werden, um nicht unversehens in die Auflösungssperre zu kommen. Dadurch käme der Zulieferer im Fall wirtschaftlicher Schwierigkeiten noch mehr unter Druck. Bei einem neuen Vertrag ist die Problematik verschärft: Der Lizenzgeber könnte auf Abschluss mit einem ausländischen Tochterunternehmen des Zulieferers in einem Land mit liberalerer Gesetzgebung bestehen. Es droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Oder der Lizenzgeber verlangt Sicherheiten oder eine Risikoprämie. Beides verringert die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Konkurrenten.

Zudem droht größere Rechtsunsicherheit: Es ist nicht klargestellt, dass eine Kündigung wegen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor Insolvenzeröffnung immer zulässig ist. Masseverwalter werden argumentieren, die Vereinbarung von Kündigungsmöglichkeiten unterlaufe die zwingende Vertragsauflösungssperre.

Das IRÄG 2010 hat noch weitere offenbar unbedachte Folgen. § 25a IO differenziert nicht zwischen zwei- und mehrseitigen Verträgen. So erscheint die Regelung auch auf Gesellschafts- und Syndikatsverträgen voll anwendbar. Die fünftägige Frist für den Eintritt des Masseverwalters kommt nicht zum Tragen, weil es diese nur bei zweiseitigen Verträgen gibt, die zur Zeit der Konkurseröffnung beiderseits noch nicht oder nicht vollständig erfüllt sind (v. a. Liefer- und Werkverträge).

Für österreichische Unternehmen, die auch ausländische Gesellschafter haben, ist dies nachteilig. Österreichs gute Position als Standort für Holdings und Joint Ventures wird unterminiert. Wo immer mehrere Gesellschafter beteiligt sind, räumt oft der Gesellschaftsvertrag oder ein zusätzlicher Syndikatsvertrag den übrigen Gesellschaftern Aufgriffsrechte oder Ähnliches hinsichtlich der Anteile insolventer oder insolvenzgefährdeter Gesellschafter ein: Die Mitgesellschafter sollen diesen nicht als Klotz am Bein haben. Wegen der zwangsweisen Regelung des § 25a IO werden sich internationale Unternehmen überlegen, ob sie sich an österreichischen Unternehmen, vor allem Joint Ventures, beteiligen, weil das Aufgriffsrecht nicht realisiert werden kann. Es wird Druck geben, solche Unternehmen eher im Ausland zu gründen.

Gesellschaftsverträge als Problem

Ein möglicher Ausweg bestünde darin, die Auflösungssperre nur auf zweiseitige Verträge iSd § 21 KO anzuwenden. Ein anderer wäre, Gesellschafts- und Syndikatsverträge davon auszunehmen. Immerhin werden solche Verträge typischerweise nur unter Parteien geschlossen, die einander stark vertrauen; dieses Vertrauen ist durch Insolvenzeröffnung verständlicherweise erschüttert. Schließlich könnte man eine Auflösung auch nur noch gegen Abfindung des Marktwertes zulassen; das würde verhindern, dass die übrigen Parteien ungerechtfertigt einen Vorteil aus der Insolvenz ziehen.

Die Gesetzwerdung wird ohne Not eilig betrieben – die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist so niedrig wie 2006. Es fehlt die solide und breite Diskussion. Im Sinne der von der Justizministerin ausgegebenen Devise „Retten statt Ruinieren“ wird empfohlen, dies nachzuholen, um Kollateralschäden zu vermeiden.

Dr. Hoenig, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner bei Wolf Theiss in Wien, www.wolftheiss.com.
Dr. Viehböck ist Masseverwalter und Partner bei Viehböck, Breiter, Schenk & Nau, www.vbsn.at.

STICHWORT

Insolvenzreform. Ab 1. Juli soll es statt des Konkurs- und Ausgleichverfahrens ein einheitliches Insolvenzverfahren geben. Unternehmen, die ein Verfahren besonders sorgfältig vorbereiten, können auf Basis eines Sanierungsplans ein Sanierungsverfahren beantragen: mit Schuldnerquote von 20 oder, bei Eigenverwaltung, 30 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

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