Steuerrecht: Unübersichtlich, unverständlich

Steuerrecht Unuebersichtlich unverstaendlich
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Es ist sehr einfach, die Dinge kompliziert zu machen, aber sehr schwierig, zur Einfachheit zurückzufinden. Dennoch ist in vielen Bereichen des Steuerrechts eine radikale Vereinfachung dringend nötig.

GRAZ. „Das geltende Steuerrecht [...] ist erneuerungsbedürftig. Der Steuerpflichtige versteht die Maßstäbe für die ihn treffende Steuerlast nicht mehr, kann seine Steuererklärung aus eigenem Rechtsverständnis nicht verantworten und empfindet nicht selten die Steuerlast auch als übermäßig. Er steht einem Gestrüpp von Steuerlenkungen, Ausnahmevorschriften und gesetzlichen Formulierungsmängeln gegenüber. Die individuelle Steuerlast wird deshalb als Folge fehlender steuertaktischer Geschicklichkeit und weniger als Begleiterscheinung wirtschaftlichen Erfolges verstanden.“ Viele werden geneigt sein, diesen Befund als treffende Kennzeichnung der österreichischen Situation zu deuten. Er stammt jedoch aus der Feder des deutschen Steuerrechtswissenschaftlers und früheren Richters am Bundesverfassungsgericht Paul Kirchhof und bezieht sich auf Deutschland.

Ein Spiegelbild des Lebens

Ist der Befund auf Österreich übertragbar? Vieles stimmt daran. Man sollte aber mit der Kritik am Boden bleiben. Die immer wieder beklagte Kompliziertheit der Rechtsordnung überhaupt und der Steuerrechtsordnung im Besonderen ist ein Spiegelbild der Kompliziertheit des heutigen gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Lebens, das ohne adäquates steuerrechtliches Instrumentarium nicht auskommt. Der Beweis ist noch nicht erbracht worden, dass die vor allem in Deutschland vorgelegten radikalen Steuerreformkonzepte (in erster Linie die Einkommensteuer betreffend) wirklich zur Verbesserung beitragen. Auch sie müssten sich erst vor dem Hintergrund der unendlichen Vielfalt der Sachverhaltsausprägungen des modernen Wirtschafts- und Sozialstaats bewähren. Ebenso scheint die österreichische Steuerlegistik trotz berechtigter Kritik im Detail nicht jenen chaotischen Stand erreicht zu haben, der dem deutschen Steuerrecht zugeschrieben wird.

Trotzdem ist nicht bestreitbar, dass das Steuerrecht in vielen Bereichen unübersichtlich, unverständlich und unsystematisch ist. Leitlinie aller Reformen muss daher – jenseits inhaltlicher, primär verteilungspolitischer Erwägungen – die Verbesserung der Systematik und der Transparenz sein. Dabei sind freilich verschiedene Rahmenbedingungen zu beachten, denen alle steuerpolitischen Vorhaben heute unterliegen.

Der innerstaatliche steuerpolitische Spielraum wird in beachtlichem Maße durch das Unionsrecht und die Judikatur des EuGH beschnitten. Das Unionsrecht liefert die Vorgaben für die Umsatz- und Verbrauchsbesteuerung, von den Zöllen ganz zu schweigen. Es wirkt aber über die Judikatur des EuGH auch massiv in das Recht der direkten Steuern (Einkommen-, Körperschaftsteuer) hinein. Es darf nun sicher die Frage gestellt werden, wieso im Bereich der direkten Steuern, bei denen eine umfassende EU-Harmonisierung bisher bewusst unterlassen wurde, somit die mitgliedstaatliche Souveränität anerkannt ist, über die primärrechtlichen Grundfreiheiten eine Feinsteuerung des nationalen Steuerrechts erfolgen kann, die den Handlungsspielraum des Gesetzgebers radikal einengt. An der Judikatur des EuGH wird dieser Einwand freilich wenig ändern.

Im nationalen Bereich werden die rechtlichen Grenzen durch den Verfassungsgerichtshof gezogen. Dessen Judikatur zum Gleichheitssatz geht einerseits weiter als die des EuGH, weil sie über die europarechtlich relevanten Themen hinaus alle Bereiche des Abgabenwesens erfasst. Andererseits ist der Maßstab des VfGH „milder“, weil er immerhin sachliche Rechtfertigungen für differenzierende Regelungen gelten lässt, während die Judikatur des EuGH den Eindruck erweckt, jede Differenzierung stelle per se eine unzulässige Diskriminierung dar. Erstaunlich ist allerdings, dass aufhebende Erkenntnisse des VfGH von der Politik oft nicht als Reformanstoß gewertet werden, sondern zur steuerpolitischen Resignation führen (Spekulationsertragsteuer, Erbschaftssteuer).

Nationalstaatliche Steuerpolitik, die auf die internationalen Auswirkungen nicht Bedacht nimmt, ist in Zeiten der Globalisierung nicht mehr möglich. Stets muss bedacht werden, welche Effekte sich für den internationalen Investor ergeben, welche Standortqualität das Steuerrecht und – nicht zu vergessen – die Steuererhebungspraxis vermittelt.

Grenzen in der Umsetzung

Grenzen der Steuerpolitik ergeben sich auch durch schlichte administrative Vorgaben. Bei der Diskussion um eine Ausweitung der Vermögensbesteuerung etwa wird gerne verdrängt, dass in Österreich seit Abschaffung der Vermögensteuer in den 1990er-Jahren jener Stab an Finanzbeamten, die mit den Vorschriften des Bewertungsgesetzes umzugehen wussten, praktisch verschwunden ist. Wenn im digitalen Zeitalter die Finanzverwaltung nicht in der Lage ist, die Grundstücksbewertung à jour zu halten, wie soll es gelingen, eine gleichmäßige periodische Vermögensbewertung durchzuführen?

Eine der immer wiederkehrenden steuerpolitischen Forderungen ist die nach Steuervereinfachung. Niemand ist gegen Steuervereinfachung. Trotzdem gelingt sie offenbar nicht. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Ursachen für die Komplizierung sehr vielfältig sind, weshalb auch die Reformansätze sehr heterogen sein müssen. Dazu kommt, dass es sehr einfach ist, die Dinge kompliziert zu machen, aber sehr schwierig, zur Einfachheit zurückzufinden. Ein Musterbeispiel dafür ist die Besteuerung der Erträge aus Investmentfonds. Von der grundsätzlichen Besteuerung nach dem Transparenzprinzip ausgehend ist aus der Investmentfondsbesteuerung eine Materie geworden, in der sich nur mehr Spezialisten auskennen. Das wäre noch nicht wirklich tragisch; problematisch wird die Sache dadurch, dass die Anwendung der Regeln einen so hohen Aufwand erfordert, dass eine rechtsrichtige Besteuerung mit angemessenen Kosten nicht mehr herbeigeführt werden kann.

In solchen Rechtsbereichen ist eine fundamentale Reform, die zu einer radikalen Vereinfachung führt, dringend nötig. Führt die Verfeinerung der Rechtslage nicht mehr zu einem Mehr an steuerlicher Gerechtigkeit, sondern zu einer undurchschaubaren Komplizierung, versteht der Normadressat somit gar nicht mehr, dass die Regelung gerecht sein soll, dann verfehlt das Gesetz seinen Zweck. In solchen Fällen bedürfte es einer Neuordnung, die den Gesichtspunkt der Vereinfachung gegenüber dem der Einzelfallgerechtigkeit in den Vordergrund stellt. Für solche Problembereiche sollte die Einsetzung von Arbeitsgruppen aus der Finanzverwaltung, der Praxis und der Wissenschaft erwogen werden, die ohne Zurufe von außen und ohne Zeitdruck eine Neukonzeption beraten können. Eine pompöse Steuerreformkommission ist dafür nicht das geeignete Forum.

Em. Univ.-Prof. DDr. Ruppe ist Mitglied des Verfassungsgerichtshofs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2010)

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