Willi Dorner: "Privatheit gibt es kaum noch"

Den Choreografen Willi Dorner inspiriert Merleau-Pontys Denken.
Den Choreografen Willi Dorner inspiriert Merleau-Pontys Denken. Die Presse (Carolina Frank)
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Mit "bodies in urban spaces" hat Willi Dorner die Welt erobert, mit seiner Choreografie "many" öffnet er eine neue Perspektive auf die Selfie-Manie.

Vor dreißig Jahren hat Willi Dorner sein erstes Solo in Wien gezeigt und damit die eben erst aufblühende Tanzszene bereichert. Elf Jahre später war er als Tänzer so erfolgreich, dass er 1999 seine eigene Gruppe gründen konnte. Heute reist die Cie. Willi Dorner rund um den gesamten Globus, sodass die Auftritte in Wien recht selten geworden sind. Im November aber ist die Compagnie mit der Premiere von "many" im Tanzquartier zu sehen. Dass das Publikum dabei nicht nur Erkenntnisse gewinnt, sondern sich auch bestens unterhält, kann versprochen werden.

Teil der Architektur. Wie in den meisten seiner Choreografien lässt Willi Dorner seine Figuren auch in "many" sprechen. Sein Argument ist schlagend: "Wie Tanz ist Sprechen Bewegung, die Organisation und Koordination von Muskeln. " Die Beschäftigung mit Linguistik, die Phänomenologie, Logogie als Teil der Psycholinguistik und die Lektüre von Henri Bergson haben Dorner diese Erkenntnis gebracht. Sprechen ist also Tanz mit dem Kehlkopf.

Die Presse (Carolina Frank)

Doch Willi Dorner spricht längst nicht mehr von Tanz: "Ich zeige Choreografien. Choreografieren bedeutet ursprünglich die Anordnung von Körpern im Raum in einer begrenzten Zeit. Das mache ich als Choreograf." Besonders schön ist das in der Erfolgsanordnung "bodies in urban spaces" zu sehen. Diese Produktion, bereits in mehr als 100 Städten auf sämtlichen Kontinenten gezeigt, ist eine Verbindung von immobiler Architektur mit mobilen Körpern in der Stadt, gleicht einem Stillleben, ist eine Installation, eine Körperskulptur. Wobei die in Mauerspalten, Fensternischen, auf Gehsteigen, Treppen oder Geländern angeordneten, bunt kostümierten Körper nur scheinbar ebenfalls ein unbeweglicher Teil der Architektur sind.

"Schaut man jedoch genau, merkt man, dass die Muskulatur in Spannung ist und die Körper ihre Position halten müssen." Tänzer wissen das: Auch Stillstand ist Bewegung. Inzwischen ist die Choreografie "bodies in urban spaces" über alle geografischen und Genre-Grenzen hinausgewachsen. An die 500 Mal wurde die Stadtinstallation bereits aufgestellt, die lebenden Objekte sind Tänzerinnen und Parkourläufer aus der Umgebung. Festivals und Modeschöpfer, Showmaster und TV-Sender reißen sich um die Choreografie; Dissertationen sind geschrieben, Lehrgänge gehalten, Fachzeitschriften und Publikumsmagazine wollen fotografieren und berichten; ein Bildband mit den Fotos von Lisa Rastl liegt auf den Büchertischen, Dorner hat seiner Leidenschaft als Filmregisseur gefrönt und eine Dokumentation gedreht. Sein Kommentar zu dem nicht enden wollenden Hype: "Bizarr." Jetzt hat er die Tourneen seiner Assistentin, der Tänzerin und Choreografin Esther Steinkogler, übergeben: "Das hat mich total blockiert", sagt Dorner, und wie schon einmal hat er einen radikalen Schritt vollzogen, um sich neuen Ideen zu widmen, deren einige im Hinterkopf lagern. Dass er erfolgreich ist, will er nicht leugnen, neue Wege interessieren ihn jedoch mehr als alte Lorbeeren.

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Stressiges Doppelleben

An der ersten Wegkreuzung stand Dorner, als er registrieren musste, dass dieses Doppelleben als Choreograf/Regisseur und Tänzer, dieses Außen und Innen, ihm nur noch Stress verursacht. Kurz entschlossen gab er das Tanzen, als Solist, mit Kollegen und Kolleginnen oder der eigenen Gruppe, zugunsten der Choreografie auf. Er studierte die Ale xander-Technik, eine Methode, die sich mit dem Erkennen und Ändern von Gewohnheiten (ursprünglich vor allem von körperlichen Fehlhaltungen) beschäftigt, und erkannte, dass er "von der Bühne wegmuss". 1999 kam mit "Mazy" wieder die Phänomenologie ins Spiel, konkret der Zeitgenosse Jean-Paul Sartres Maurice Merleau-Ponty, auf dessen Texten die Choreografie basiert. Für "tanz 200" wurde mit "back to return" die Idee zum "Forschungsprojekt". Der Körper wird zuerst zerlegt in reine Materie, Gliedmaßen zucken in alle Richtungen, die Körper der vier Tänzer rutschen willkürlich auf dem Boden, kommen kaum vorwärts. Damit diese Maschine sich koordiniert und zielgerichtet bewegen kann, muss sie wieder zusammengesetzt werden, muss die inneren Bilder und vorgegebenen Bewegungsmuster wiederfinden. Die grundlegende Arbeit ist Vorwegnahme und Wegweiser der Choreografie des 21. Jahrhunderts.

Publikumsfreundlich trotz Theorie

Von nun an ist Merleau-Pontys erstmals in Frankreich erschienenes Werk "Phänomenologie der Wahrnehmung" des Choreografen Begleiter. So gründlich Dorner die Theorie studiert hat, so deutlich bleibt er einer durchaus publikumsfreundlichen Praxis verbunden. Plastisch und bildhaft bedürfen seine Choreografien keiner Erklärung. Auch kann er, was er vom Phänomenologen Merleau-Ponty mitgenommen hat, ganz praxisnah erklären: "Der Mensch ist immer zugleich Subjekt und Objekt, er tut etwas und sieht sich dabei selbst zu. Eine Hand wäscht die andere, wörtlich genommen, das Objekt tut es, das Subjekt spürt und sieht die Aktion." Flugs ist er bei der kommenden Premiere angelangt: "many". Mit dieser Choreografie bekommt die Selfie-Sucht einen neuen Aspekt. Schon 2007 arbeitete Dorner mit Studenten der Hochschule für Architektur in Nottingham an einem Projekt mit dem damals neu geborenen Smartphone. "Das ist noch nicht so lang her, und doch bestimmt das Handy für viele (many) das Leben, und dieses ist öffentlich. Privatheit gibt es kaum noch, doch der Mensch will beides sein, Teil der Welt und einzigartiges Individuum. So muss er sich dauernd selbst reproduzieren, um unvergleichlich zu erscheinen."

Tipp

Cie. Willi Dorner: "many", Tanzquartier 16., 17. November. www.tqw.at

Willi Dorner: "bodies in urban spaces", Hatje Cantz Verlag, Texte: Willi Dorner, Franz Thalmaier, Fotografien von Lisa Rastl. www.hatjecantz.de

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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