Ethnologie: "Wir sind die wahren Nomaden!"

Ines Kohl (Universität Wien) erforscht in Libyen die Tuareg, ihre Identität, auch ihre eigenartigen Speisegewohnheiten.

Sie sind eine der Ikonen der stadtmüden Authentizitäts-Sucher, die Tuareg, Herren der Wüste, grenzenlos frei. Die möchte man sehen, mit ihnen möchte man am Feuer sitzen, ihre Traditionen teilen, ihr Essen natürlich auch. "Es gibt Makkaroni mit Tomatensauce, monatelang", desillusioniert Ines Kohl, Ethnologin der Uni Wien, die seit Jahren - finanziert vom Wittgensteinpreis ihres Doktorvaters Andre Gingrich - das Leben der Tuareg teilt, um deren Identität und ihre Brüche zu erkunden. In klassischen Interviews geht das nicht, es geht nur in teilnehmender Beobachtung, im Tratsch am Herd etwa, dann, wenn Kohl mit dem Makkaroni-Kochen - "in einem alten Tontopf" - an der Reihe ist: Sie ist in eine 20-köpfige Familie integriert, als "Tochter und Schwester".

Diese Familie lebt in Ghat, einer Oase mit 12.000 Einwohnern ganz im Süden von Libyen, mitten in der Wüste, im Umkreis von 300 Kilometer gedeiht nichts, "es ist die lebensfeindlichste Gegend überhaupt". Die Menschen passen sich dem ewigen Klima an - im Sommer kann man bis zehn Uhr früh arbeiten, dann wird es zu heiß, 50, 60 Grad, ab sechs am Abend ist es wieder kühl genug -, die Menschen passen sich den wandelnden politischen Bedingungen an: Das Siedlungsgebiet der Tuareg zieht sich weit durch die Wüste und hat sich auch dadurch nicht verändert, dass irgendwann Nationalstaaten ihre Grenzen zogen, Algerien, Niger, Tschad.

Und eben Libyen, in dem seit 1969 Oberst Muammar al-Ghaddafi regiert. Seine "grüne Revolution" kennt keine Ethnien, nur Libyer oder auch Araber - die Tuareg sind die "Araber der Sahara" -, seine Politik ging auf Assimilation, es funktionierte: "Sie sind integriert und lehnen den Staat nicht ab", berichtet Kohl, "sie profitieren von ihm, es gibt freie Schulbildung und ein freies Gesundheitswesen, die Lebensmittel sind subventioniert, fast alle haben Jobs beim Staat." Die Tourismus-Industrie gedeiht auch, die "blauen Männer sind sehr gefragt". Ein bisschen muss es sein wie in Tirol, viele arabische Fremdenführer verkleiden sich, streifen die indigogefärbte Kleidung der Tuareg über, die allmählich auch die Haut färbt.

Sie alle müssen versorgt werden, aber die Wege sind weit und manchmal gehen gar die Makkaroni aus. Dann springt die zweite Gruppe der Tuareg ein, die, die bei den instabilen Nachbarn Niger und Tschad mehr schlecht als recht leben und dort nicht gleichgestellt sind: Die Freiheit von ökonomischen Sorgen und politischer Diskriminierung haben sie nicht. Dafür halten sie die alte Tuareg-Freiheit hoch, die der Bewegung in der Wüste. Die nutzt heute den "Toyota" - so heißt jedes wüstentaugliche Auto - und packt ihn voll: Diese Tuareg nähren sich vom grenzüberschreitenden Handel vulgo Schmuggel, auch als Gelegenheitsarbeiter in Landwirtschaft und Tourismus. "Assimilieren wollen sie sich nicht, sie umgehen auch die staatliche Loyalität, aber sie eignen sich kreativ gewisse Dinge an", beschreibt die Forscherin, "übernehmen den regionalen Dialekt, die Kleidung, die Festtraditionen - und wenn sie zurück im Niger sind, legen sie alles wieder ab."

Sie grenzen sich auch von den ansässigen Tuareg ab - ",Ich seid eingesperrt, wir sind die echten Nomaden!'" -, und sie wenden ihre Not zur Tugend, nennen sich "Ischoma", das bedeutet "arbeitslos" und wurde früher abschätzig verwendet, heute ist es Ausdruck des Selbstbewusstseins. Eines teilen sie mit den anderen Tuareg: "Sie sind extrem schön, groß, schlank, eitel auch", berichtet Kohl. Das will sie als Nächstes erkunden, das Verhältnis der Tuareg zu "Schönheit und Ästhetik". Ende November ist sie wieder losgezogen zu den Makkaroni-Töpfen, diesmal mit Finanzhilfe einer Firma, die Geld aus Libyens Böden sprießen lässt, der Österreichischen Mineralölverwaltung OMV.

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