CERN: Happy Higgs Day

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Am Kernforschungszentrum CERN in Genf hat man das lange gesuchte Teilchen gefunden, das allen anderen erst Masse verleiht, das Higgs-Boson. Ganz sicher ist man sich allerdings noch nicht.

"Wir haben eindeutig ein neues Teilchen beobachtet, das mit der Hypothese des Higgs-Teilchens kompatibel ist.“ Das berichtete Manfred Krammer vom Wiener Institut für Hochenergiephysik der Akademie (Hephy) am Mittwoch um elf Uhr der Presse, das berichteten zeitgleich Physiker in aller Welt: Nach bald 50 Jahren ist das Gelobte Land der Teilchenphysik – beinahe – erreicht. Deshalb waren auf der zentralen Feier in Genf auch die Propheten, fünf Physiker, die 1964 eine Lösung für eines der größten Probleme der Physik vorgeschlagen haben: für die Frage danach, woher Teilchen ihre (unterschiedliche) Masse haben, oder auch, wie die Photonen, gar keine.

Der prominenteste der fünf ist der Brite Peter Higgs (s. Porträt unten), nach ihm wurde alles benannt: Er schlug vor, dass allerorten und jederzeit ein Feld existiert – das Higgs-Feld –, mit dem Teilchen interagieren, jedes anders, daher ihre unterschiedliche Masse. Nun ist es aber in der Quantenphysik so, dass jedem Feld ein eigenes Teilchen zugeordnet ist, auch das erhielt Higgs' Namen. Aber bald kam ein Zweiter: „god-damned particle“. US-Physiker Leon Ledermann wollte 1993 damit ein Buch betiteln, in dem er beschrieb, wie schwer die Teilchen zu finden sind.

Zum einen braucht es zu ihrer Entstehung andere Teilchen, die mit extrem hoher Energie kollidieren, solche Bedingungen herrschten etwa direkt nach dem Urknall, auf der Erde gibt es sie nicht. Und zum anderen sind Teilchen extrem kurzlebig – sie zerfallen nach 3x 10–22 Sekunden –, direkt beobachten kann man sie nicht, man kann nur aus ihren Zerfallsprodukten auf sie schließen.

Um beide Hindernisse zu überwinden, ging das Europäische Kernforschungszentrum CERN (Genf) 1996 an den Bau der größten und komplexesten Maschine, die je gebaut wurde, drei Milliarden Euro mussten mobilisiert werden. Dazu machten sich manche Proponenten einen dritten Namen des Mirakels zunutze: Ledermanns Verleger hatte aus dem geplanten Buchtitel das „damned“ gestrichen, nun ging es um nichts Geringeres als das „Gottesteilchen“.

2008 lief die Maschine – der Teilchenbeschleuniger LHC – an, stark angefeindet von Kritikern, die sich ihrerseits aus dem religiösen Fundus bedienten und die Apokalypse an die LHC-Wand malten: Statt des Gottesteilchens werde ein schwarzes Loch entstehen und die Erde verschlingen. Dazu kam es nicht, aber ein Teil der Anlage explodierte, erst 2010 ging die Arbeit los, an den Detektoren. Die sitzen dort, wo die beschleunigten Teilchen kollidieren, der eine heißt CMS – hier beobachten auch Hephy-Mitarbeiter –, der andere Atlas. Sie suchen Zerfallsprodukte von Higgs-Teilchen, etwa Photonen.

Entdeckt? Nein, nur beobachtet!

Aber diese entstehen auch durch andere Prozesse. Man muss also Higgs-Signale vom Hintergrundrauschen unterscheiden, und zwar fein. Die Grenze heißt „5 Sigma“, sie gibt die Fehlerwahrscheinlichkeit an, erst ab 5 ist man auf der sicheren Seite. „Wir sind bei 4,9“, berichtet Robert Schöfbeck (Hephy), „die Kollegen von Atlas bei fünf.“

Aber ganz sicher, dass die Teilchen, deren Spuren sie gefunden haben – und die eine Masse von von 125 Gigaelektronenvolt haben – wirklich Higgs-Bosonen sind, sind sie nicht, das zeigt eine Feinheit der Semantik: Die Teilchen wurden „beobachtet“ („observation“), nicht „entdeckt“ („discovery“). Darauf bezog sich am Vortag schon ein unermüdlicher Skeptiker, Peter Woit (www.math.columbia.edu/~woit/blog): „Wird das ,D‘-Wort gebraucht werden? Das ist ein bisschen eine närrische Frage. Der 4. Juli 2012 wird als Tag der Entdeckung in die Geschichte eingehen, ganz gleich, ob das Wort fällt. Er wird der Happy Higgs Day.“

Neues Elementarteilchen

Ein Teilchen mit einer Masse von 125 Gigaelektronenvolt ist erstmals beobachtet worden, wie Physiker am Kernforschungszentrum CERN am Mittwoch bekannt gaben. Alle bisherigen Resultate stimmen mit den Erwartungen für das lange gesuchte Higgs-Boson überein, das als einziges Elementarteilchen noch nicht nachgewiesen ist. Es müssen aber erst mehr Daten ausgewertet werden, um Sicherheit zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2012)

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