Bedrohen Tsunamis die Küsten des Genfer Sees?

(c) AP
  • Drucken

Im Jahr 563 kam eine Welle: Ein Felssturz brachte das Delta an der Rhone-Mündung in Bewegung. Das kann sich wiederholen.

Seit Weihnachten 2004, als ein Tsunami an den Küsten des Indischen Ozeans wütete, ist der einst nur Erdkundlern bekannte Terminus zum Schreckenswort geworden, das immer häufiger in den Mund genommen werden muss: 2010 kam ein Tsunami über Chile, 2011 der von Fukushima, es sprach sich rasch bis in die hintersten Täler und höchsten Höhen herum, erregte auch dort Grauen vor der Gewalt der Natur, aber keine Angst, man selbst war ja weit genug weg.

War man? Die Felsmasse stürzte „so plötzlich, dass sie ein benachbartes Schloss verschüttete wie auch die Dörfer mit allen ihren Einwohnern; das schüttelte den See so sehr, dass am Ausgang seiner beiden Flüsse sehr alte Dörfer mit Männern und Herden zerstört wurden. Es traf mit Furie die Brücke von Genf, die Mühlen und die Männer und ließ dort mehrere Menschen umkommen.“ Mit diesen Worten berichtete der heilige Marius, Bischof von Avenches, was im Jahr 563 am Genfer See geschah. Demnach ging ein Felssturz direkt in den See, laut anderen Zeugen versperrte er den Einfluss der Rhone in den See mit einer künstlichen Staumauer, die irgendwann nicht mehr standhielt.

Nach 70 Minuten: 8-Meter-Welle in Genf

Nun ist es geklärt, Seismologin Stéphanie Kremer (Uni Genf) hat den Boden des Sees analysiert und rekonstruiert das Geschehen so: Die Rhone bringt nicht nur Wasser in den See, sondern auch Steine, die sich auf dem Seeboden zu einem System von Canyons türmen. Das geriet in Bewegung, als sich der Felssturz an der Einmündung der Rhone ereignete, das brachte die Welle. Es würde sie auch heute bringen – mindestens eine Million Menschen lebt nun um den See herum –, nach 15 Minuten wäre die Welle 13 Meter hoch bei Lausanne. Das liegt glücklicherweise hoch über dem See, es nahm auch damals keinen Schaden. Aber nach 70 Minuten  wäre sie beim ungeschützten Genf, und immer noch acht Meter hoch (Nature Geoscience, 28. 10.).

Und es könne jederzeit geschehen, durch Felsstürze, starke Stürme oder Erdbeben. Die sind rar in der Schweiz, aber 1601 gab es eines in der Region des Vierwaldstättersees, der Stadtschreiber von Luzern überlieferte die Folgen: Das Wasser zog sich partiell so weit zurück, „dass man schier trochens fuosses herüber hette gan mögen, wie es dann ettlich junge lütt söllent gethan haben“. Dann kam die Welle retour.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.