NHM: Wenn die Himmel sich öffnen und Feuer spucken

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Das Naturhistorisches Museum präsentiert seinen größten Schatz – die älteste Meteoritensammlung der Welt – neu und zeitgemäß. Wer mag, kann in einer Simulation gar Asteroiden auf Wien stürzen lassen.

Am späten Nachmittag des 26. Mai 1751, es war ein Sonntag, wurden viele Spaziergänger in der Gegend von Agram von etwas Unerhörtem überrascht: „Zwischen sechs und sieben Uhr wurde zunächst ein Lichtblitz beobachtet, ohne jedes Geräusch; dann wandte es sich als quälende Kette nach Westen und wurde in mittlerer Höhe zu einem Feuerball mit langem Schweif.“ Endlich kam ein Explosionsknall dazu, auf 2600 Quadratkilometern dröhnte er in den Ohren, so berichteten es Augenzeugen. Und einer, ein Priester, achtete auf das, was das Ereignis mental anrichtete: „In seiner Unwissenheit dachte das gemeine Volk, dass die Himmel sich geöffnet hatten.“

Das hatten sie ja auch, ein Meteor war herabgefahren, zwei große Bruchstücke fanden sich in der Gegend des Dorfs Hraschina, der Dorfpfarrer ließ sie ausgraben und schickte das größere Stück nach Wien, an Kaiser Franz I., Kroatien gehörte zu seiner Monarchie. Das kleinere Stück blieb in der Region, und das gemeine Volk überwand seinen Schrecken rasch und kehrte zurück zu Mühsal und Findigkeit des Alltags: Es verarbeitete die Himmelsgabe teilweise zu Nägeln. Das ist heute im Prinzip gar nicht anders: Am 18. Juli 2011 zeigte sich ein ähnliches Feuerwerk über Marokko, anderntags schwärmten Beduinen aus, losgeschickt von Steinhändlern, die wussten, was auf dem internationalen Markt mit Meteoriten zu verdienen ist, gar mit einem, der vom Mars gekommen ist, 800 Euro bringt ein Gramm, Gold war gestern um 43,88 Euro zu haben.

400.000 € für einen Stein? „Eine Mezzie!“

Fündig wurden die Beduinen nahe der Stadt Tissint, und Meteoriten werden nach ihrem Fundort benannt. So kam im Vorjahr ein 900 Gramm schweres Bruchstück des Tissint ins Naturhistorische Museum in Wien. Direktor Christian Köberl hatte Glück und Geschick – „eine Mezzie: 400.000 Euro“ –, und er rundete damit vorerst ab, was mit dem Meteoriten von Hraschina begonnen wurde, die „älteste Meteoritensammlung der Welt, und die mit Abstand größte Schausammlung“.

Die wuchs vor allem im 19. Jahrhundert, nachdem Hraschina zunächst aus der kaiserlichen Privatsammlung ins k. k. Naturalienkabinett überführt worden war und dieses 1889 in das ganz neue Naturhistorische Museum (NHM) kam. Sie ist auf über 7000 Objekte angewachsen, und die waren von Anfang an nicht nur Trophäen des Himmels, in Wien wurden auch viele wissenschaftliche Grundlagen gelegt, mit denen diese einzigartigen Zeugen zum Sprechen gebracht werden: Nur in Meteoriten – alles, was vom Himmel fällt, ist einer – ist die Geschichte des Sonnensystems und der Erde archiviert, sie sind noch in dem Zustand, in dem alles vor 4,5 Milliarden Jahren war, so ursprüngliches Gestein gibt es auf der Erde nicht mehr.
Man muss nur darin lesen können, und als Erster tat das, wieder an Hraschina, 1808 Alois von Widmanstätten: Er erhitzte den Meteoriten und sah plötzlich gitterartige Muster, die bis heute charakteristisch sind für Meteoriten aus Eisen und bis heute „Widmanstättensche Figuren“ heißen.

So wuchs die Sammlung, die Forschung zog mit, aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts war alles vorbei, es war kein Geld mehr da, es kamen die Weltkriege. Die Sammlung konnte gerettet werden, aber sie versank im Staub. Dort blieb sie auch, als sie in den 1960er-Jahren wieder in ihren alten Saal kam, Vitrine an Vitrine, so war es auch im Rest des Hauses – es war nun nicht mehr neu, sondern eher ein Museum seiner selbst. „Ich war ja selbst oft als Student dort“, erinnerte sich der heutige Direktor am Dienstag bei der Präsentation des neu gestalteten Meteoritensaals, „die Besucher sind von den glitzernden Edelsteinen im Saal nebenan gekommen – und sahen dann nichts als graue und braune Steine, da sind sie weitergegangen“.

Nun werden sie eher verweilen, Köberl wollte eine spannende Präsentation, und zugleich eine unaufdringliche – beides ist gelungen: Der historische Kern ist noch da, aber man hat die Überfülle in den Vitrinen reduziert – auf die Hälfte – und die Saalwände mit allerlei Information und Anregung gefüllt: Da kann man Meteoriten unter der Lupe betrachten oder auch befühlen – ein Eisenmeteorit hat ein ganz anderes Gewicht als einer aus Gestein –, da sieht man in einer Video-Animation die Entstehung des Sonnensystems. Und da kann man selbst untergehen lassen, so viel man will: Man kann, wieder auf einem großen 3-D-Schirm, einen Meteoriten auf Wien herabschießen – direkt aufs NHM –, einen großen oder auch ganz großen, man kann auch die Einschlagsgeschwindigkeit variieren. Nehmen wir einen Durchmesser von einem Kilometer und eine Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Sekunde, drücken wir auf den Knopf! Dann sehen wir von weit oben, wie der Feuerball hinabrast, einschlägt und eine Staubwolke aufsteigen lässt. Wenn die sich gelegt hat, steht der Rest daneben. Köberl ist Spezialist für „giant impacts“, er hat es sicher mit eigener Hand bzw. eigenem Hirn berechnet: „Wien und Umgebung werden total zerstört.“

„Ganz Europa zerstört, weltweit Staub“

Fährt man in der Simulation höher hinauf, auf einen Zehn-Kilometer-Brocken und 180 Kilometer pro Sekunde, wird „ganz Europa zerstört, weltweite Staubablagerung, langfristiger Klimaeffekt“ (und das steht für internationale Gäste dankenswerterweise auch auf Englisch da). Man riskiert nichts mit der Prognose, dass die Besucher an diesem Orakel Schlange stehen und die Wartezeit zum Betrachten der oft wunderlich verformten und bisweilen auch zu prächtigsten Farben verschmolzenen Exponate nutzen werden.

Gerade ist wieder eines dazugekommen, zur Eröffnung überraschte Köberl mit dem siebten in Österreich gefundenen Meteoriten („Ischgl“), und mit einem Ohrenschmaus als Zugabe: Ulrich Küchl hat ein Streichquintett komponiert – „Himmlische Steine“ –, Mitglieder der Wiener Symphoniker brachten es zur Uraufführung (lange nach Redaktionsschluss: Eine Musikkritik des Wissenschaftschreibers bleibt Ihnen erspart).

Und dann ist es genug mit dem Feiern: Ab Mittwoch ist der Saal für das Publikum geöffnet, und Köberl hat wieder mehr Zeit für seine zweite Aufgabe, das Museum zeigt eben nicht nur Schätze, es erforscht sie auch, und Köberl ist nicht nur Direktor, sondern auch Geochemiker: Auf den wartet im Labor vor allem Tissint, der Meteorit aus Marokko. Der besteht nicht aus 4,5 Milliarden Jahre alter Urmaterie, er wurde vor 700 Millionen Jahren aus dem Mars herausgeschlagen. Und an ihm kann in einem irdischen Labor der Mars feiner erkundet werden als mit Nasa-Analysegeräten an Ort und Stelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2012)

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