Paläogenetik: Frühe Amerikaner aus Polynesien?

Palaeogenetik Fruehe Amerikaner Polynesien
Palaeogenetik Fruehe Amerikaner Polynesien(c) EPA
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In Schädeln brasilianischer Indianer, die im 19. Jahrhundert ausgerottet wurden, haben sich Gene aus der Südsee gefunden. Wie die kamen, ist unklar.

Sie kämpften, und sie verloren, als der portugiesische Kolonialherr sie Ende des 19. Jahrhunderts vor die Wahl gestellt hatte, das fremde Recht zu übernehmen oder in den Krieg zu ziehen. Sie wählten diesen und den Tod, sie, die letzten Erben früher Amerikaner, der Botokuden-Indianer in Brasilien. Sie bringen neues Leben in den alten Streit, wer wann den Doppelkontinent erwandert hat: Lange galt als gesichert, dass die Ersten die Clovis-Menschen waren, die vor etwa 13.000 Jahren hoch im Nordwesten ankamen, nachdem sie sich ein paar tausend Jahre zuvor von der sibirischen Halbinsel Kamtschatka auf den Weg über die Beringstraße gemacht hatten – diese war damals trocken, weil die Eiszeit mit ihren Gletschern die Meeresspiegel gesenkt hatte.

Aber diese Daten hielten nicht, vor den Clovis waren schon andere über den gleichen Weg gekommen und vor 15.500 Jahren im heutigen Texas angelangt. Und neben den Nordostasiaten gab es eine ganze Heerschar an Kandidaten: Ein US-Fund ist Kennewick Man, er trägt japanische Züge; andere brachten europäische Gene, sie sollen mit der Solutréen-Kultur gekommen sein, als sie vor 20.000 Jahren von der Eiszeit aus Spanien vertrieben wurde, und sie werden mit dem Slogan „Iberien, nicht Sibirien!“ beworben. Aber viele Anhänger hat das nicht, da ist sogar die australische Fraktion größer: In Südamerika gibt es Felsmalereien, die stark an die der Aborigines erinnern.

Captain Cook hat es geahnt

Und dann krähte auch noch ein Hahn, der einen Verdacht von Captain Cook bestätigte: Frühe Amerikaner seien aus Polynesien gekommen, Tausende von Kilometern über das offene Meer. Das vermutete Cook 1769, 2002 kam dann der Hahn bzw. kamen mehrere fossile Hühner an die Küste Chiles, man datierte sie auf die Zeit zwischen 1321 und 1407. Hühner gab es in Amerika von Natur aus nicht, und die Spanier waren noch lange nicht da, die Hühner konnten nur aus Polynesien stammen, es gab früh Fernhandel (siehe Kasten), allerdings ist die Datierung der Knochen umstritten.

Und jetzt kommt die jüngste Wende, gleich doppelt: In Brasilien hat Christelle Lahaye (Bordeaux) gerade etwas ausgegraben, was sie für Steinwerkzeug hält – es ist 22.000 Jahre alt (Journal of Archaeological Science, 4.3.). Das stößt auf Zweifel, die scharfen Splitter könnten natürlichen Ursprungs sein. Kein Zweifel duldet hingegen, was ein Team um Sérgio Pena (Belo Horizonte) im Nationalmuseum von Rio de Janeiro gefunden hat, 14 Botokudo-Schädel aus dem 19. Jahrhundert. Man hat Proben von Zähnen entnommen und sie zur Analyse geschickt – etwa an Eske Willerslev (Kopenhagen), er ist einer der Stars der Paläogenetiker. Und er fand in Zähnen aus zwei Schädeln Gene aus Polynesien (Pnas, 1.4.).

Wann und wie kamen die nach Amerika? Es gibt drei Möglichkeiten, die Forscher spielen sie durch und favorisieren keine: Die erste passt zu den Hühnern, ihr zufolge kamen die Polynesier früh nach Amerika – nicht als Erste, Polynesien wurde erst vor 3000 Jahren besiedelt –, aber doch vor den Europäern. Allerdings hätten sie dann, anders als die Hühner, erst noch die Anden überqueren und nach Brasilien hinabwandern müssen. Oder sie kamen doch erst lange nach Kolumbus: 1860 wurden um die 2000 Polynesier als Sklaven nach Peru verschleppt, 300 überlebten, sie wurden nach dem Ende der Sklaverei in Peru 1896 eingebürgert, von einem Auswandern nach Brasilien ist nichts bekannt.

Erst versklavt, dann entführt?

Bleibt die dritte Variante, auch sie läuft über Sklavenhandel: Ihn erklärte Großbritannien 1807 für illegal, die britische Flotte schnitt den traditionellen Handelsweg ab und sperrte die westafrikanischen Küsten. Die Sklavenhändler wichen aus, nach Osten, nach Madagaskar. Von dort brachten sie bis 1843 etwa 120.000 Sklaven nach Brasilien – und viele Bewohner Madagaskars hatten und haben polynesische Gene.

Oder gab es noch eine Wendung? Man hat die Gene nur in zwei der 14 Schädel gefunden, und das findet eine Entsprechung in der Oper „Il Guarany“, die der Brasilianer Carlo Gomes 1870 komponierte: Sie handelt davon, dass Botokudo Sklavinnen aus Madagaskar aus den Plantagen entführten. „Wir können derzeit keines der Szenarien ausschließen“, erklären die Forscher: „Wir hoffen, dass weitere molekulare Studien ein besseres Verständnis der Einwanderungen in der Zeit vor Kolumbus ermöglichen.“

Früher Fernhandel

„Kon-Tiki“ hieß das Floß, mit dem Thor Heyerdahl 1947 den Weg bewältigte – 5000 Kilometer von Peru zu den Osterinseln. Allerdings gab es im frühen Peru keine Seefahrer, sie müssen andersherum gesegelt sein, von Polynesien nach Amerika. Dass sie es taten, wird von dem bezeugt, was sie auf der Rückreise mitnahmen, Kürbisse etwa und Süßtomaten. Auf Polynesien gab es die von Natur aus nicht, und für eine Verfrachtung via Meeresströmung war der Weg zu weit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2013)

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