Die Grenze zwischen Pflanze und Umwelt

(c) BilderBox (BilderBox.com / Erwin Wodicka)
  • Drucken

An der Boku Wien werden Pflanzenoberflächen mit neuesten mikroskopischen Methoden untersucht: auf den Mikro- und Nanometer genau.

Was unterscheidet Wasserpflanzen, die uns im Sommer beim Baden im See oft störend auffallen, von Landpflanzen? Die im Wasser waren – evolutionär gesehen – zuerst da, sie haben keine Moleküle in der Zellwand, die sie gegen Austrocknung schützen. Die Pflanzen an Land brauchen das dringend, sonst würde das Wasser, das sie aus der Erde beziehen, sofort verdunsten. Wäre ihre Oberfläche noch so wie die der Vorfahren im Wasser, würden alle Gärtner mit dem Gießen nicht nachkommen.

In der Evolution entwickelten Pflanzen an Land Strategien gegen Wasserverlust: Durch Polyester wie Cutin und Suberin wurde die Außenfläche wasserdicht, nun beschränkt sich der Wasser- und Gasaustausch zwischen Pflanze und Luft auf kleine Spaltöffnungen. Zudem brauchte es feste Zellwände, um gegen Umwelteinflüsse und Schwerkraft gewappnet zu sein (unter Wasser „steht“ eine Pflanze leichter als im Wind): Dazu wird Lignin in hölzerne Pflanzen eingelagert.

Notburga Gierlinger widmet sich seit vielen Jahren diesem Vorgang der Lignifizierung (Verholzung). Immerhin belegt Lignin in der Liste der häufigsten organischen Verbindungen der Erde Platz drei (nach Zellulose, die in allen Pflanzenzellen vorkommt) und Chitin (das bei Pilzen die Zellwand und bei Insekten und Krustentieren den Panzer bildet).

„Das Herz meiner Forschung ist, wie sich einzelne Bausteine in einer Pflanze zusammenfügen, um Funktionen zu erfüllen“, sagt Gierlinger. Sie (sowie acht andere Forscher, siehe rechts) hat soeben den Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF und des Wissenschaftsministeriums (BMWF) erhalten, der mit 1,2Millionen Euro (über sechs Jahre) dotiert ist. Gierlinger nutzt dieses Budget, um von der ETH Zürich zurück nach Österreich zu kommen, an die Universität für Bodenkultur, wo sie (nach Botanikstudium in Salzburg) 2003 ihr Doktorat abschloss. 2003 war übrigens auch das letzte Jahr, in dem eine Frau (Reneé Schroeder) den – zugleich mit den Start-Preisen vergebenen – Wittgensteinpreis zugesprochen bekam. Heuer fiel die Wahl wieder auf eine Forscherin, Ulrike Diebold, die betont, dass die 1,5 Mio. Euro des Wittgensteinpreises „echte Freiheit der Forschung ermöglichen, durch die man die besten Ergebnisse erzielen kann“.


Forschung an Oberflächen. Zufälligerweise beschäftigen sich beide am Montag ausgezeichneten Frauen mit Oberflächen: Diebold als Physikerin mit vom Menschen gemachtem Material, Gierlinger hingegen mit Oberflächen von natürlich gewachsenen Pflanzen. Es geht dabei nicht nur um die ohnehin interessante Oberfläche, über die sich Pflanzen mit ihrer Umwelt austauschen (Blätter, Stängeln, Wurzeln), sondern auch um Grenzflächen innerhalb der Pflanze, z.B. die Leitgefäße für Wasser und Pflanzennahrung, die Stängel und Blätter wie Adern durchziehen.

„Wir wollen wissen, wie diese Grenzen und Oberflächen während des Wachstums entstehen, wie sich aus Einzelteilen etwas Ganzes bildet, das so vielfältige Funktionen haben kann“, sagt Gierlinger. Die Einzelteile sind immer die gleichen: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und ein bisschen Stickstoff. Daraus bilden sich – wie aus kleinen Legosteinen – zusammengesetzte große Moleküle (Polymere), die für den Wassertransport oder gegen Austrocknung, für Stabilität oder gegen Schädlinge, für UV-Schutz oder gegen Frostschäden etc. einsetzbar sind.

„Viele der Moleküle aus hoch spezialisiertem Gewebe sind noch nicht im Detail erforscht: Meine Arbeitsgruppe wird auf Mikro- und auf Nanoebene untersuchen, wie die Moleküle aufgebaut und verteilt sind und welche Funktionen sie haben“, so Gierlinger.

Sie beherrscht die moderne Raman-Spektroskopie (benannt nach dem indischen Physik-Nobelpreisträger C. V. Raman): Mit einem Laserstrahl erkennt man über die optische Streuung des Lichts die Struktur von Molekülen.


Mikro- und Nanoebene. „Jedes Molekül, jede Funktionsgruppe hat ein charakteristisches Raman-Spektrum: Wir finden so den molekularen Fingerabdruck von Holz, Blättern und anderen Pflanzenteilen mit einer räumlichen Auflösung von 0,3 Mikrometern.“ Sehr kleine, dünne Grenz- und Oberflächen werden so aber immer noch nicht sichtbar. Darum vereint Gierlinger die Raman-Mikroskopie mit einem Rasterkraftmikroskop, dessen Nano-Spitze die Oberfläche auf den Nanometer genau abtasten kann. „Die Kombination wurde bisher nur an künstlichen Oberflächen, etwa bei Carbon-Nanostrukturen angewandt. Wir nutzen die Technik erstmals an lebenden Organismen, um z.B. die Oberfläche der Wasserleitbahnen zu untersuchen und Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion zu verstehen“, erklärt Gierlinger.

Freilich muss eine Pflanze, die unters Mikroskop kommt, zuerst „getötet“ und präpariert werden. Neben herkömmlichen Präparationsmethoden wird Gierlingers Team „Gefriermikrotomie“ nutzen: „Für herkömmliche Präparate werden Pflanzen in Kunstharze eingebettet, dann geschnitten. Das verzerrt die Ergebnisse der Raman-Spektroskopie, da das Einbettungsmittel das Signal der Pflanzen überlagern kann. Bei der Gefriermikrotomie werden Pflanzenteile im schockgefrorenen Zustand geschnitten und im natürlichen Zustand untersucht.“

Die Beobachtung von Pflanzenzellen über die Dauer einer Wuchssaison ermöglicht den Forschern, das Wachstum und die Einlagerung der spezialisierten Polymere sichtbar zu machen: Wo und wann werden die „Lignin-Legosteine“ gebildet, transportiert und polymerisiert, wie sind die „Schnittstellen“ zwischen zwei Zellen aufgebaut, über die Wasseraustausch möglich ist, wie verändern sich Wasserleitbahnen, wenn eine Pflanze austrocknet und dann wieder mit Wasser versorgt wird, wie unterscheiden sich die Oberflächen der Wasserleitgefäße von Nadel-und Laubhölzern? Solche und viel mehr Fragen sollen durch die neuen Mikroskopietechniken gelöst werden.

„Bei der Lotusblume konnte bereits die Nanostruktur der wasserabweisenden Oberfläche entschlüsselt werden: Nun wird diese Nanostruktur bei Fassadenfarben etc. eingesetzt, um Wasser mitsamt Schmutzpartikeln abperlen zu lassen“, so Gierlinger. Sie hofft, bei ihrer Grundlagenforschung erste Schritte ähnlicher Bionik-Ideen zu finden. Jedenfalls werden neue Einblicke in die Materialeigenschaften von Hölzern und anderen Pflanzen möglich.

Das nützt z.B. Bioraffinerien, die aus pflanzlicher Biomasse viele wertvolle Bestandteile mit möglichst niedrigem Energieaufwand gewinnen wollen: Hier spielen Zusammensetzung des Ausgangsmaterials und „angreifbare“ Oberflächen eine wichtige Rolle. Auch Land- und Forstwirtschaft sollen profitieren, wenn man Wachstum der Pflanzen und Einfluss von Trockenstress besser versteht. „Nicht zuletzt essen wir auch viele Pflanzen. Somit sind die Ergebnisse über Pflanzenbeschaffenheit und ihre Oberflächen auch für die Nahrungsmittelindustrie wichtig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.