Heureka aus der Steckdose

Heureka Steckdose
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Eine internationale Forschergruppe mit Innsbrucker Beteiligung konnte zeigen, dass eine Art elektrisches Hirndoping die Leistungsfähigkeit bei mathematischen Aufgaben steigern kann.

Wer hat sich nicht schon gewünscht, „im Schlaf“ zu lernen – oder zumindest leichter, schneller und effektiver? Den eigenen Kopf ein bisschen mehr auf Touren zu bringen, sich Zusammenhänge schneller einzuprägen und sogar das eigentliche Verständnis zu verbessern? Und das, wenn möglich, ganz einfach – ohne chemische Substanzen einnehmen zu müssen, die eventuell unerwünschte Nebenwirkungen haben könnten?

Durch eine kürzlich veröffentlichte Studie scheint man diesem Ziel ein Stück nähergekommen zu sein. Forscher der University of Oxford, der Medizinischen Universität Innsbruck und des University College London untersuchten den Effekt von sehr schwachen elektrischen Feldern auf das Gehirn (Current Biology 23, S. 987). Sie stimulierten Gehirnareale, die essenziell für Lernvorgänge sind und konnten zeigen, dass bei Anwendung dieser sogenannten transkranialen elektrischen Stimulation (TES) mathematische Aufgaben tatsächlich besser und schneller gelöst werden.


Arithmetische Aufgaben. 25Probanden der Universität Oxford wurden zu diesem Zweck mehrere elektrische Kontakte an den betreffenden Teil des Kopfes angelegt, während sie mathematische Probleme unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades lösen mussten. Stimuliert wurde währenddessen der sogenannte dorsolaterale Cortex, eine Region der vorderen äußeren Hirnrinde, die für höhere Denkvorgänge wichtig ist. Ein Forscherteam um die Neuropsychologin Margarete Delazer (Med-Uni Innsbruck) konnte in den vergangenen Jahren – u.a. per funktioneller Magnetresonanztomografie – zeigen, dass diese Hirnregion auch für das arithmetische Rechnen wichtig ist. Delazer kooperiert seit ihrer Zeit als Erwin-Schrödinger-Stipendiatin mit dem University College London, u.a. in dem EU-Projekt Numbra (Numeracy and brain development).

Die Testpersonen waren durch die Stimulation tatsächlich signifikant besser beim korrekten Beantworten auswendig gelernter Zusammenhänge wie 4+12=16. Auch komplexere Aufgaben, die tieferes mathematisches Verständnis voraussetzen – zum Beispiel [(8–15)+1]+8 –, wurden akkurater und schneller gelöst.

Besonders überraschend war, dass der Effekt der Behandlung auch noch sechs Monate später deutlich messbar ist. Genauer: Die Verbesserung war nur bei schwierigeren Aufgaben von Dauer – nicht jedoch beim Wiedergeben von rein auswendig Gelerntem. Darüber hinaus konnten die Forscher auch zeigen, dass nicht nur die beim vorherigen Training gestellten Aufgaben weiterhin schneller gelöst wurden. Die Probanden waren auch besser im Berechnen neuer mathematischer Probleme ähnlicher Art.

Die Autoren vermuten daher eine allgemein verbesserte Denkleistung der stimulierten Hirnareale. Der positive Effekt des elektrischen „weißen Rauschens“ auf relativ simple kognitive Vorgänge wie etwa die korrekte Unterscheidung von zwei grafischen Formen ist schon länger bekannt. Die nun veröffentlichte Studie zeigte aber zum ersten Mal, dass die Elektrostimulation auch bei komplexen kognitiven Vorgängen wie Arithmetik wirkt.


Mechanismen sind unklar. Unklar bleibt der zugrunde liegende Mechanismus der verbesserten Rechenfähigkeiten. Die leichte elektrische Stimulierung könnte die neuronalen Signale, die beim Lernen entstehen, verstärken und synchronisieren, wodurch sich die Spuren des Gelernten im Gehirn stärker ausprägen und festigen. Die Studie zeigte ebenso, dass mit der gesteigerten Gehirnleistung durch die elektrische Stimulation der Blutfluss in den betroffenen Arealen sank, der Sauerstoffverbrauch jedoch unverändert blieb. Das wurde durch spezielle Sensoren (Optoden) gemessen, die mittels Nah-Infrarot-Strahlung berührungslos die verschiedenen Zustände von Hämoglobin erfassen können.

Die Forscher spekulieren daher, dass eine verbesserte Blutzufuhr und Sauerstoffversorgung auch beim Menschen zu dem Lerneffekt beiträgt. Dies stimmt überein mit Versuchen an Mäusen, bei denen die Stimulation zur Bildung neuer Blutgefäße führte. Eine andere mögliche Ursache sei die Wirkung der Stromflüsse auf Rezeptoren, die die Aktivität der Nervenzellen steuern – eine Rolle könnte dabei die Aktivität von Natriumkanälen in den Zellmembranen spielen.


Hilfe für lernschwache Kinder? Fraglich ist, ob die elektrische Stimulation des Gehirns tatsächlich ohne unerwünschte Nebeneffekte bleibt. Wie bei jedem anderen Eingriff in das sensible Gleichgewicht unseres Körpers ist auch hier Vorsicht geboten. Eine parallel veröffentlichte Arbeit des Teams in Oxford (Journal of Neuroscience, 33, S. 4482)zeigte, dass bei transkranialer Stimulation nicht die Dosis, sondern der Ort das Gift macht. Sie stimulierten nicht nur den vorderen Teil der Gehirnrinde, sondern auch den mehr seitlich gelegenen parietalen Cortex. Dieser ist ebenso bekannt für seine Rolle beim Lösen mathematischer Aufgaben, ist aber auch von großer Wichtigkeit bei der Kontrolle von motorischen Funktionen wie z.B. beim gezielten Greifen.

Es zeigte sich, dass die Probanden je nach angeregter Hirnregion zwar schneller lernten, gleichzeitig aber andere Gehirnfähigkeiten reduziert wurden. So konnten die stimulierten Probanden das Gelernte weniger gut automatisiert wiedergeben als unstimulierte Personen. Es scheint also, dass die verbesserte Leistungsfähigkeit einer Hirnregion auf Kosten einer anderen geht und deren Leistung vermindert.

Interessant erscheint die neue Technik auch vor dem Hintergrund der steigenden Aufmerksamkeit für chemisches Gehirndoping mittels Medikamenten oder Drogen. Obwohl oft als Medienhype abgetan, zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Mainz, dass 20 Prozent von 2500 befragten Studenten innerhalb eines Jahres zu apothekenpflichtigen oder illegalen Substanzen wie Koffeintabletten oder Amphetaminen greifen, um ihre geistige Leistungsfähigkeit zu steigern (siehe Lexikon links).

Natürlich ist es keine Lösung, chemisches gegen elektrisches Doping zu tauschen – bei Überforderung und Leistungsdruck muss man wohl an anderen Stellen ansetzen. In manchen Bereichen jedoch könnte die transkraniale Stimulation ein alternativer Weg sein, dem Gehirn unter die Arme zu greifen. Sollte sich die neue Technik als sicher erweisen, könnten zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit Lernstörungen von einer gezielten Behandlung langfristig profitieren. Weitere Studien über die Wirkung der Stimulation auf unser Gehirn werden einen potenziellen „elektrischen Kater“ hoffentlich vermeiden.

Stimulation

Elektrostimulation – die Anregung von Nerven durch elektromagnetische Felder – wird bereits in vielen Bereichen der Medizin eingesetzt: etwa bei der Anregung von Muskeln (z.B. Herzschrittmacher) oder bei Cochlea-Implantaten (speziellen Hörgeräten).

Lexikon

Hirndoping –wissenschaftlich formuliert: Neuro-Enhancement – wurde erstmals systematisch im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. An allen Fronten wurden Millionen von Amphetamin-Pillen an die Truppen, etwa an Piloten, verteilt.


Bei vielen Studenten und Managern verbreitete sich in jüngster Zeit die Einnahme von psychoaktiven Substanzen wie Amphetaminen, Betablockern, Schmerzmitteln oder Antidepressiva – von illegalen Drogen wie Kokain gar nicht zu reden. Keine dieser Substanzen ist als Neuro-Enhancer zugelassen.


Kurzfristige Effekte wurden von vielen Forschergruppen festgestellt, über die langfristigen Folgen ist indes kaum etwas bekannt. Eine Reihe von Substanzen, die dezidiert als Neuro-Enhancer gedacht sind, befinden sich in klinischen Tests.


Seit rund 20 Jahren werden auch elektrische Methoden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit
des Gehirns erprobt – lange Zeit ohne durchschlagenden Erfolg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2013)

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