Einwanderer: Kamen Amerikaner aus Europa?

Neue Wendung in der unendlichen Geschichte der Besiedelung: Die ersten Einwanderer brachten Gene aus Sibirien, aber auch aus dem Westen Eurasiens.

Vor etwa 15.000 Jahren setzten die ersten Clovis ihre Füße auf Amerika, ganz hoch im Nordwesten. Sie waren aus Sibirien über die Beringstraße gewandert; die konnte man damals trockenen Fußes begehen, die Eiszeit bzw. ihre Gletscher hatten die Meeresspiegel gesenkt. Bald waren diese Menschen in Mexiko – nach einer dortigen Stadt wurden sie benannt –, bald waren sie auch ganz im Süden.

Und sie waren auch die ersten Besiedler des Doppelkontinents, so will es wenigstens die Hypothese vom „Clovis first“. Allerdings erodiert die schon lange – man fand immer wieder Spuren früherer Einwanderer –, und sie hat reichlich Konkurrenz: In Südamerika gibt es Felsbilder, die aussehen wie die von Aborigines; in Nordamerika gibt es einen prominenten Fund, „Kennewick Man“, dessen Gesicht ganz und gar nicht nach Sibirien weist. Manche Forscher sehen darin eher japanische Züge, andere europäische. Und hartnäckig hält sich auch die Vermutung, die ersten Amerikaner seien vor etwa 20.000Jahren aus Europa gekommen, von der Mittelmeerküste Spaniens.

„Paleoamerican Odyssey“

Nun kommt eine neue Wendung, aus Mal'ta. Das ist ein Ort in Sibirien, in dem 1920 die fossilierten Reste eines Vierjährigen gefunden wurden – sie lagern in der St.Petersburg Eremitage. Dort nahm Eske Willerslev (Kopenhagen) – er ist einer der renommiertesten Paläogenetiker – eine Probe. Dann sequenzierte er das gesamte Genom und datierte den alten Knochen. Und jetzt trug er seine Befunde auf der Konferenz „Paleoamerican Odyssey“ in Santa Fe vor: Das Kind lebte vor 24.000Jahren, und es lebte schon in Sibirien. Aber dort stammte es bzw. seine Familie nicht her, sowohl das väterliche Y-Chromosom wie die mütterlichen Mitochondrien gibt es dort nicht. Es gibt sie nur im Westen Eurasiens, westlich des Kaukasus (Science, 342, S.409).

Und diese Gene gab es auch bei einem Drittel der Ahnen der heutigen Indigenen, bei den anderen zwei Dritteln deuten die Gene wirklich nach Sibirien. Wie soll das zusammenpassen? Willerslev vermutet, dass Bewohner von Mal'ta aus dem westlichen Eurasien nach Sibirien gewandert sind und sich irgendwann nach dem Tod des Vierjährigen mit sibirischen Bewohnern der Region gemischt haben. Die Erben trugen dann die Gene über die Beringstraße.

„Da bleibt einem der Mund offen stehen“, reagierte Connie Mulligan (Florida). „Das wird einige Diskussionen anregen.“ Die gab es auch auf der Konferenz. Nicht alle halten es für legitim, aus einem Fund so weitreichende Schlüsse zu ziehen. Allerdings hat eine andere Gruppe – um David Reich (Harvard) – im Vorjahr schon aus der DNA heutiger Amerikaner Spuren europäischer Ursprünge herausgelesen. Es wurde nur kaum beachtet. „Wir sind sehr aufgeregt“, kommentierte Gruppenmitglied Alexander Kim.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2013)

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