Schlangen: Gene für Extreme

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In den ersten Sequenzierungen von Schlangengenomen zeigt sich, was hinter dem Körperbau und der Verdauungskunst dieser Tiere steht und wie ihre Gifte entstanden.

Klug wie die Schlangen sollten sie sein, und mild wie die Tauben, forderte der Meister von seinen Jüngern (Matthäus 10,16). Aber das geht nicht zusammen: Die Klugheit der Schlangen ist das Gegenteil von Milde, sie zeigt sich in aller Härte darin, wie sie Beute machen, und was sie dann mit ihr machen. Ein Python etwa sitzt still, er hat Geduld. Bis zu einem Jahr kann er warten, bis Beute vorbeikommt. Dann stürzt er sich auf sie und erdrückt sie, dann verschlingt er sie. Sie kann so groß sein wie er selbst, ein Wildschwein etwa oder auch ein Mensch.

Und dann geht etwas los, was in der Natur seinesgleichen nicht kennt. Der Körper wird umgebaut und kommt auf Touren: Alle Organe wachsen, der Darm wird über Nacht dreimal so groß, das Herz legt in zwei Tagen um 40 Prozent zu. Alle Säfte fließen: die der Verdauung – der pH-Wert sackt von neutralen 7,5 auf sauerste 1,5 ab – und die in den Adern, das Blut transportiert siebenmal soviel Sauerstoff wie zuvor. Insgesamt schnellt der Stoffwechsel um den Faktor 44 nach oben. Und all das, damit das Verschlungene verdaut werden kann, bevor es verrottet.

Würgen seit 100 Millionen Jahren

Das Verfahren ist seit hundert Millionen Jahren bewährt. Damals entstanden die Schlangen, vermutlich aus Eidechsen, die sich in die Erde zurückzogen, dort ihre Körper verlängerten und die Füße ablegten. Irgendwann kamen sie wieder heraus, sie wurden Giganten. Die größte bekannte lebte vor 60Millionen Jahren, sie war auf 14 Meter herangewachsen. Damals hatten die Schlangen ihre große Zeit – die Dinosaurier waren weg –, sie bildeten viele der heute etwa 3000 Arten. Dann, vor 36 Millionen Jahren, kam eine Innovation: Manche Schlangen wurden zu aktiven, agilen Jägern, und vor 15 Millionen Jahren entwickelten einige davon tödliche Waffen, Gifte. Die wurden allmählich zu hochkomplexen Mischungen verfeinert, manche wirken ganz spezifisch – die Gifte von Baumschlangen etwa nur auf Vögel –, andere töten breit, auch Menschen. Geschätzte 100.000 Opfer pro Jahr sind zu beklagen, vergiftete und/oder erwürgte.

Wie passierte das alles, auf der molekularen Ebene? Zwei Gruppen haben es mit Genomanalysen erkundet, eine um Stephen Secor (University of Alabama). Er ist der große alte Mann der Pythonforschung, hat vor Jahrzehnten – damals gemeinsam mit Jared Diamond – mit Experimenten begonnen, die den Blitzstart des Stoffwechsels dokumentierten. Der zeigt sich nun auch in den Genen: Die Hälfte erhöht ihre Aktivität, wenn es ans Verdauen geht. Und die Zellteilung kommt auf Touren, in allen Geweben und Organen, die mit dem Stoffwechsel zu tun haben. Außer in einem, im Herzen: Das vergrößert sich nicht durch die Bildung neuer Zellen (Hyperplasie), sondern durch die Verlängerung der alten (Hypertrophie). Deshalb werden auch keine Gene repliziert.

Und fast so rasch, wie es beim Verdauen zugeht, ging es bei der Entstehung der Schlangen. Vergleicht man die 7442 Gene, die Pythons und Königskobras gemeinsam haben, mit den entsprechenden Genen anderer Wirbeltiere, zeigt sich, dass die der Schlangen sich sehr viel rascher verändert haben, der Umbau war gewaltig – der Abbau auch. Erwartungsgemäß legten Schlangen früh das Gen aus der Hox-Familie still, das das Wachstum von Gliedmaßen steuert – zehn Prozent des Genoms standen unter positiver Selektion (Pnas, 2.12.).

Verdauung abgewandelt zu Gift

Manche Gene wurden immer wieder verdoppelt, mit ihnen konnte die Evolution experimentieren, aus Bewährten tödliches Neues entwickeln. Das zeigte sich am Genom der Königskobra: Es wurde von einer Gruppe um Freek Vonk (Leiden) sequenziert. Er ist der wilde junge Mann des Felds, hat sich auf Giftschlangen spezialisiert und führt sie gern in eigenen TV-Shows vor (Pnas, 2.12.): Die Königskobra mischt ihr Gift aus 73 Peptiden und Proteinen, 20 Genfamilien arbeiten mit. Und ein Gen ist eng verwandt mit einem, das bei Schlangen (und Menschen) in der Bauchspeicheldrüse beim Verdauen hilft. Es wurde leicht abgewandelt, nun sorgt es mit dafür, dass es überhaupt etwas zu verdauen gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2013)

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