Gibt es eine Heilung für Autismus?

(C) Warner
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Chlorsenkende Medikamente verhindern die für das Leiden typische Überaktivität des Gehirns.

Wo kommt nur der Autismus her, das mangelnde Vermögen zum sozialen Bezug? Die Frage ist um so härter, als es „den Autismus“ nicht gibt. Stattdessen gibt es „Autismus-Spektrum-Störungen“, ein breites Feld, das von milden Verhaltensirritationen bis zu harten Fällen von Selbstzerstörung reicht. Und es gibt eine unüberschaubare Zahl möglicher Ursachen, Gene spielen mit, die Umwelt spielt mit, möglicherweise spielt auch mit, dass immer mehr Kinder nicht mehr durch den Geburtskanal müssen, sondern mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden.

Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Ja: Irgendetwas geht schief in der Entwicklung des Gehirns, es ist zu groß bzw. so überaktiv, dass es sich in seiner internen Kommunikation nicht ausreichend konzentrieren kann. Gerade hat man eine Gruppe von Kandidaten identifiziert, die Mikroglia, das sind Immunzellen im Gehirn, die die Verbindungsbahnen zwischen den Neuronen zurechtstutzen, sie schaffen viele beiseite, die restlichen werden dadurch zu Datenautobahnen. Und nun wurde ein genereller Mechanismus aufgedeckt, in ihm geht es nicht um die Verbindungen, sondern die Verbundenen, die Neuronen. Von denen haben Autisten mehr – 67 Prozent im präfrontalen Kortex, in ihm sitzen die höheren Fähigkeiten, auch die zu Sprache und Sozialkontakt –, zudem sind diese Zellen extrem aktiv.

Und das auch in einer verletzlichen Phase: während der Geburt. In gesunden Gehirnen wird dann die Aktivität heruntergefahren, und zwar durch den Neurotransmitter Gaba. Der ist doppelgesichtig, er kann die Aktivitäten  erhöhen oder verringern, und was er gerade tut, hängt davon ab, wie viel Chlor (Cl) in den Zellen ist, es legt den Schalter um: Ist viel da, regt Gaba die Aktivität an, ist wenig da, bremst es sie ein. Und wenig ist dann da, wenn das Chlor aus den Zellen heraustransportiert wird. Das wird es bei Autisten nicht, man vermutet es zumindest, deshalb hat man im Jahr 2012 an 50 Kindern mit „Autismus-Spektrum-Störungen“ ein Medikament getestet, Bumetanid, ein Diuretikum, es entwässert und schwemmt dabei auch Chlor aus. Es brachte den Kindern Erleichterung, aber ob das wirklich am Chlor lag, konnte man an ihnen nicht klären, dazu braucht man Gehirnzellen in verschiedenen Entwicklungsstufen.

Zentrales Molekül: Oxytocin


Deshalb ist Yehezkel Ben-Ari (Marseille) in Tierversuche gegangen, es gibt Mäusemodelle für Autismus, in eines ist ein defektes Gen gebaut, beim anderen wird das Gehirn chemisch manipuliert. Dabei wurde der Zusammenhang mit dem Chlor bestätigt, zudem kam eine Überraschung: Der zentrale molekulare Spieler – der, via Chlor, den Gaba-Schalter umlegt – ist Oxytocin, das ist ein Hormon, das seine Funktion im Namen trägt: „Okys“ heißt „schnell“, „tokos“ „Geburt“, Oxytocin leitet die Wehen ein, später auch die Milchproduktion, und zusammen mit der fließt dann auch der soziale Bezug, mit Sicherheit der zwischen Mutter und Kind, möglicherweise auch der zwischen Mann und Frau, Oxytocin heißt auch „Treuehormon“.

Und es schützt die Kindergehirne bei der Geburt, indem es für das Entfernen von Chlor sorgt, bei den Autismus-Mäusen tat es das nicht, die Forscher hatten die Produktion blockiert. Aber wenn man es – oder ein harntreibendes Medikament – 24 Stunden vor dem Gebären gibt, wirkt es selbst in der einmaligen Dosis: Die Jungen kommen gesund zur Welt (Science, 343, S. 675).
Was nun? Soll man Schwangere vor dem Gebären mit Oxytocin versorgen? Nein, da weiß man ja noch nicht, ob dem Kind Autismus droht. Aber wenn man ihn diagnostiziert – möglichst früh –, könnte mit Medikamenten wie Bumetanid geholfen werden, hofft Ben Ari. Zudem empfiehlt er der Forschung, einen näheren Blick auf das Gebären zu werfen, bei dem Oxytocin nicht hilft, nicht helfen muss: dem mit dem Skalpell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2014)

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