Schimpansen gähnen nicht jedem Artgenossen nach

Schimpanse
SchimpanseFrans de Waal
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Auch unsere Cousins haben das sozial ansteckende Verhalten und die dazu erforderliche Empathie. Aber nicht gegenüber Fremden.

Nichts ist so ansteckend wie das Gähnen, man muss einem anderen nur dabei zusehen, schon stellt es sich ein. Es reicht sogar, wenn man das Wort „gähnen“ liest, Robert Provine (University of Maryland) hat es experimentell erhoben: „30 Prozent der Personen, die fünf Minuten lang einen Bericht über das Gähnen lasen, berichteten, sie hätten selbst gegähnt“ (American Scientist, 93, S. 532).
Das können Sie jetzt selbst prüfen, und wenn Sie bei der Lektüre wirklich ins Gähnen kommen, wird ihr Gegenüber es auch bald tun. Haben Sie zudem einen Hund, wird selbst der angesteckt: Atsushi Senju (University of London) hat im Labor Hunden etwas vorgegähnt, die machten es in 72 Prozent der Fälle nach (Biology Letters, 4, S. 446). Dass sie sich über die Artgrenze hinweg anstecken lassen, ist allerdings etwas Besonderes: Einfach gegähnt wird quer durch das Reich der Wirbeltiere, man hat schon Fische, Vögel und Schlangen dabei beobachtet, und Menschen beginnen damit schon vor ihrer Geburt, im Uterus, in der elften Woche.
Wozu das physiologisch dient – das einfache Gähnen –, ist ungeklärt, am Mangel an frischer Luft liegt es nicht, das hat Provine gezeigt, eine neuere Hypothese vermutet, es kühle das Gehirn. Klarer ist schon, dass das aufgestufte Gähnen – das Nachahmen – mit dem Sozialleben zu tun hat, mit dem Sicheinfühlen in andere, der Empathie. Das zeigt sich auch ex negativo, bei Autisten, sie imitieren Gähnen nicht. Aber bei den anderen stuft die Empathie sich dann zum Signal auf: Ein Gähnender zeigt (meist), dass von ihm keine Gefahr ausgeht, diese Beruhigung pflanzt sich durch die Gruppe fort.
Sie muss erlernt werden, Babys lassen sich erst ab elf Monaten anstecken, das spricht dagegen, dass hinter der Ansteckung „Spiegelneuronen“ stehen, Hirnzellen, die automatisch Bewegungen anderer nachahmen. Aber was auch immer dahintersteckt, Empathie gehört dazu, und je mehr einer davon hat, desto mehr gähnt er mit. Seit wann in der Evolution? Außer uns gähnen nur Schimpansen gesichert einander nach (Hunde sind wegen ihrer langen Geschichte mit den Menschen ein Spezialfall), an ihnen gingen Matthew Campbell und Frans de Waal (Emory) den Details nach, sie haben ihnen am National Primate Research Center via Video verschiedene Gähner vorgespielt.
Einmal waren das Menschen, mit denen sie vertraut waren, dann ihnen unbekannte; einmal vertraute/unvertraute Schimpansen; und in der dritten Runde waren es Affen, die sie noch nie gesehen hatten, Dscheladas. Deren Gähnen hatte keine sonderliche Wirkung, bei dem der Menschen war das anders, ihnen gähnten die Schimpansen kräftig nach, unabhängig davon, ob ihnen die Menschen vertraut waren oder nicht: „Schimpansen müssen keine Individuen kennen, aber die Individuen müssen zu einer Art gehören, mit der die Schimpansen eine Geschichte positiver Interaktion haben“, interpretieren die Forscher (Proc. Roy. Soc. B. 11. 3.).

„Extreme Xenophobie“

Die Betonung liegt auf „positiv“, das zeigte sich beim Betrachten der gähnenden Schimpansen: Mitgegähnt wurde nur bei vertrauten Artgenossen, bei Fremden war die Nachahmung so gering wie bei Dscheladas. Das lag nicht am mangelnden Interesse: Bei Fremden schauten Schimpansen dem Gähnen länger und intensiver zu als bei allen anderen. Aber sie trauten dem Frieden nicht. „Das ist nicht überraschend“, erklärt de Waal, „wenn man die extreme Xenophobie der Schimpansen mit bedenkt, die schließlich in freier Natur Nachbarn töten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2014)

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