Auch das köstlichste Nass ist nur in Maßen köstlich

Trinkwasser
Trinkwasser(c) APA/dpa/Oliver Berg (Oliver Berg)
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Das Gehirn wacht nicht nur darüber, dass wir genug Wasser trinken. Es schützt auch aktiv vor einem Zuviel des Guten.

Dass man einen über den Durst trinken kann, ist kein Geheimnis, aber das bezieht sich für gewöhnlich auf einen Inhaltsstoff, nicht auf die Menge der Flüssigkeit. Bei der stellt sich nach der Sättigung des Dursts – es gibt für das Trinken keinen analogen Begriff, 1999 versuchte man es mit dem Kunstwort „sitt“ (wie „satt“), das wollte niemand schlucken –, nach der Sättigung also stellt sich ein ungutes Gefühl ein: Genug ist genug, nur halb Verdurstete in Wüsten schütten zu viel in sich hinein, Marathonläufer bisweilen auch, und bei Schizophrenie kann Übertrinken zum Krankheitsbild gehören. Das ist gefährlich, zu viel Wasser führt zu Natriummangel (Hyponatriämie), der greift akut das Gehirn an und chronisch auch den übrigen Körper.

Deshalb ist das Trinken fein reguliert, seit es es gibt, seit etwa 380 Millionen Jahren, da stieg das erste Leben aus dem Meer. Zwar gibt es auch Fische, die Wasser aufnehmen, Aale tun es, während sie im Meer sind, dort saugt das Salz Wasser aus ihnen heraus, im Süßwasser tun sie es nicht. Aber das große Trinken stellte sich erst bei den Wirbeltieren auf dem Land ein, Amphibien nehmen Wasser durch die Haut auf, Vögel und Säugetiere durch das eine Ende des Leitungssystems, den Schnabel, das Maul. Und dort beginnen bei den anderen wie bei uns – die wir zu 70 Prozent aus Wasser bestehen und bei einem Defizit von 0,5 Prozent unruhig werden – der Durst und seine Sättigung.

Durst: Signale aus dem halben Körper


Erst wird der Mund trocken, dann die Speiseröhre, und dann wird aus dem halben Körper nach Nachschub gerufen. Dafür sorgen Sensoren im Darm, dafür sorgt die interne Messung des Blutdrucks, und dafür sorgt vor allem das andere Ende des Leitungssystems, die Niere: Wird sie von zu wenig Wasser durchspült, setzt sie das Enzym Renin frei, das spaltet ein Protein der Leber, Angiotensin, daraufhin hält die Niere Wasser zurück, und die Blutgefäße verengen sich. Zusammen läuft all das im Gehirn, aber dorthin muss es wirklich von überall her kommen, das zeigte sich 1856 an einem unglücklichen Pferd: Dem war in der Speiseröhre eine Fistel so gewachsen, dass das Wasser durch die Halswand nach draußen floss. Das Tier trank und trank, bis es umfiel: Das Melden der Schluckbewegungen an das Gehirn hatte nicht zum Einstellen des Schluckens ausgereicht.

Umgekehrt reichen auch die Signale des Darms nicht, die Schluckbewegung muss mit verrechnet werden, das weiß man von Versuchen an Tieren, denen man Wasser direkt in den Magen leitete. Aber wenn alle Informationen da sind, und wenn auch Wasser da ist, dann saufen manche so rasch wie möglich – Trinken ist gefährlich, an Wasserlöchern lauern Räuber –, andere stillen nur den ärgsten Durst und lassen sich dann Zeit, Ratten halten es so, Menschen auch. Und bei uns – bei Ratten wohl auch – stellt sich dann Behagen ein. Das schlägt um, wenn es zu viel wird, und diesen Umschlagpunkt nahm Derek Denton (Melbourne) zum Anlass, mit bildgebenden Methoden nachzusehen, was dann im Gehirn vor sich geht (Pnas, 24. 3.): Er bat Testpersonen ins Labor und ließ sie dort eine Stunde auf einem Hometrainer strampeln, sie schwitzten zwischen einem halben und einem ganzen Kilo Wasser aus.

Dann durften sie trinken, und erwartungsgemäß leuchteten im Gehirn Zentren auf, die schon beim Warten auf Belohnung aktiv werden und beim Eintreffen erst recht, der Left Orbital Frontal Cortex etwa, der freut sich auch, wenn es etwas Angenehmes zu hören oder zu riechen oder zu schmecken gibt, und wenn es Geld zu erwarten gibt; und der Pregenual Anterior Cingulate Cortex, der wird auch bei angenehmen Berührungen und Düften aktiv.

Interner Streit im Gehirn


Dann hatten die Probanden genug, aber sie wurden gebeten, weiterzutrinken. Nun schalteten sich nicht nur die Zentren der Belohnung ab, zudem wurden andere aktiv, die Amygdala etwa, die ist beim Vermeiden unangenehmer Empfindungen mit dabei, und unangenehm ist das Zuviel an Wasser, die Probanden bestätigten es. Aber sie taten auf Bitten oder Geheiß doch weiter, und das brachte ihre Gehirne in internen Streit: Aktiver wurden auch Bewegungszentren, offenbar, um die härter werdenden Schluckbewegungen doch noch durchzusetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2014)

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