Keine Spur von dunkler Materie oder dunkler Energie

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Forscher der TU Wien waren an einem Experiment beteiligt, das den Bereich, in dem man neue Kräfte finden könnte, massiv einschränkt.

Die Gravitation, die Kraft, die Äpfel auf die Erde fallen und die Erde um die Sonne rotieren lässt, ist wohl die uns vertrauteste der vier Grundkräfte. Aber für die Physiker ist sie voller Rätsel. Schon weil sie – so groß und stark sie uns vorkommen mag – eigentlich eine sehr schwache Kraft ist: Die Gravitation zwischen den Elektronen und den Protonen eines Atoms z. B. ist gegen die elektromagnetische Kraft völlig vernachlässigbar. Es ist auch ziemlich schwer, die Gravitation auf kleinen Abständen zu messen.

Im Gegensatz zu den anderen drei Grundkräften kennen die Physiker für die Gravitation keine Quantenfeldtheorie, d. h. keine „Austauschteilchen“, mit denen die Kraft übertragen wird. (Beim Elektromagnetismus sind das etwa die Photonen.) Wer von Gravitonen spricht, der spricht von völlig hypothetischen Teilchen.

Im Universum spielt die Gravitation natürlich eine große Rolle – durch die schiere Menge an Materie –, aber auch keine unproblematische. So lässt sich die Dynamik der Galaxien nur durch die Annahme einer hypothetischen dunklen Materie erklären, und für die Expansion des gesamten Universums brauchen die Kosmologen heute dazu die noch viel rätselhaftere dunkle Energie. Diese lässt sich entweder als eine kosmologische Konstante deuten, die bereits Einstein – wenn auch widerwillig – eingeführt hat, oder als ein seltsames, bisher unbekanntes, den gesamten Raum erfüllendes Feld, das die theoretischen Physiker raunend „Quintessenz“ nennen.

Physiker um Hartmut Abele von der TU Wien berichten nun gemeinsam mit Kollegen aus Grenoble in den Physical Review Letters über ein Experiment, mit dem sie sowohl über dunkle Materie als auch über dunkle Energie etwas sagen können. Wenn auch nur Einschränkendes, in dem Sinn: Mit der Genauigkeit, mit der sie – bisher – messen können, sehen sie keine Spur von Phänomenen, die über die ganz normale Gravitation hinausgehen, wie sie Sir Isaac Newton und später Albert Einstein beschrieben haben.

Was messen sie? Teilchen, die keine störenden elektromagnetischen Kräfte spüren: Neutronen. Sehr kalte Neutronen, die zwischen zwei parallelen Glasplatten hindurchgeschickt werden. Nun kommt ein typisches Phänomen der Quantenmechanik ins Spiel: Ein Teilchen, das irgendwie eingesperrt ist, sei es in einem Atom oder in einem Kasten, kann nur mehr ganz bestimmte Energiezustände annehmen, die abhängig von der Form des Kastens sind – und vom Potenzial, das auf das Teilchen wirkt. In diesem Fall ist das schlicht das Schwerefeld der Erde.

Keine Quintessenz, keine Axionen


In Wahrheit ist die Messmethode ein wenig subtiler – die untere Glasplatte vibriert mit einer bestimmten Frequenz –, aber das Prinzip ist klar: Aus den gemessenen Energiedifferenzen kann man auf etwaige Abweichungen vom Gravitationsgesetz schließen. Das Ergebnis: Es wurden keine solchen Abweichungen gefunden.

Damit können Abele und Kollegen den Bereich, in dem doch noch so etwas wie eine Quintessenz wirken könnte, wesentlich einschränken: Er ist durch ihr Experiment um ca. fünf Größenordnungen (um den Faktor 100.000) geschrumpft.

Mit einer Variation des Experiments haben die Physiker auch getestet, ob sie eine von manchen Theoretikern erwogene Form von dunkler Materie „sehen“ können: Axionen, das sollen ganz spezielle Austauschteilchen sein, und zwar solche, die die Kopplung zwischen Spin (diesfalls des Neutrons) und Masse (diesfalls einer Glasplatte) verkörpern. Von dieser Kopplung fand sich keine Spur, damit auch nicht von den Axionen.

So hat das österreichisch-französische Experiment einiges dazu beigetragen, den Bereich einzuschränken, in dem sich bisher unbekannte physikalische Phänomene verbergen können. „Wir schränken den Rahmen dafür massiv ein“, sagt Abele. Am Ende der Publikation schreiben die Physiker noch, dass ihre Messmethode – die sie Gravitationsresonanzspektroskopie nennen – ein „ideales Werkzeug“ für die Prüfung von anderen exotischen Theorien sein könnte: jener nämlich, die die Existenz zusätzlicher Dimensionen annehmen, die bei ganz kleinen Abständen die Gravitation so beeinflussen, dass sie nicht mehr mit Newton und/oder Einstein erklärt werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

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