Die Zelle in der Zelle: Lebendes Fossil, Zeuge für eine Eingemeindung

Eine Alge bezeugt einen gewaltigen Schritt der Evolution: die Integration anderer Organismen als Zell-Organellen vor etwas mehr als einer Jahrmilliarde. Wiener Genetiker sammeln Beweise.

Wie das damals war mit dem Ursprung des Lebens, ist naturgemäß schwer zu rekonstruieren. Man nimmt an, daß sich zunächst Moleküle bildeten, die die Eigenschaft hatten, sich selbst replizieren zu können. In weiterer Folge entstanden die ersten einzelligen Organismen, Bakterien. Deren Erbgut war noch nicht in einem Zellkern konzentriert. Erst später entwickelten sich Eukaryoten ("Echtkerner"). Vielzellige Organismen, die aus solchen eukaryotischen Zellen aufgebaut sind, waren dann eigentlich nur noch eine Variation das Themas.

Spezialisierte Organellen

Aber nicht nur der Kern ist charakteristisch für Eukaryoten, sondern auch die Ausbildung weiterer Bereiche in der Zelle, die bestimmte Aufgaben übernehmen. So wie bei einem Körper von Organen, spricht man hier von Organellen. Wie diese entstanden sind, darüber gibt es unterschiedliche Theorien.

Im Falle der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zellen, und der Plastiden, der Photosynthese-Organellen, glauben heute die meisten Wissenschaftler der Endosymbionten-Theorie. So auch Wolfgang Löffelhardt vom Wiener Institut für Genetik und Mikrobiologie. Die Theorie besagt, daß die Mitochondrien von sauerstoffatmenden Bakterien und die Plastiden von Cyanobakterien, also photosynthetisierenden Bakterien, abstammen.

Beide lebten zunächst als Symbionten in der Zelle, waren aber eigentlich noch eigenständige Lebewesen, die durchaus auch außerhalb der Zelle existieren konnten. Mit der Zeit wurden sie aber von der Wirtszelle abhängig gemacht. Sehr viele Gene wurden zum Kern der Wirtszelle transferiert, sodaß die heutigen Plastiden viele Proteine, die sie brauchen, nicht mehr selbst herstellen können. Sie werden vom Kern produziert und müssen dann in den Plastid importiert werden.

Doch keine Symbiose

Um eine solche doch recht wild klingende Theorie zu untermauern, ist es immer gut, ein Lebewesen zu finden, das eine Brückenposition einnimmt und als lebendes Fossil zeigt, wie die Zustände vor langer Zeit waren. "Die Alge Cyanophora paradoxa ist ganz sicher so ein lebendes Fossil", meint Löffelhardt. Früher glaubte man, daß diese Alge symbiotische Cyanobakterien enthält, also noch unabhängige Organismen. Aber dann stellte sich heraus, daß die in den vermeintlichen Bakterien enthaltene DNA dafür zu kurz war: Ein Lebewesen braucht ein gewisses Mindestmaß an genetischer Information, um selbständig sein zu können.

Löffelhardts Interesse war jedenfalls geweckt. Sein Team sequenzierte die Gene der Doch-nicht-Symbionten. Heute nennt man sie Cyanellen und weiß, daß sie Plastiden sind, aber sehr ungewöhnliche. Sie sind zwar auch schon völlig abhängig von der Wirtszelle, haben aber noch ein paar Eigenschaften ihrer Cyanobakterien-Ahnen. Löffelhardt: "Ganz außergewöhnlich ist ihre Wand, die Peptidoglykan enthält." So eine Wand haben sonst nur Bakterien.

Für den Import von Proteinen ist eine Zellwand ein Hindernis, und es mußten sich Transportmechanismen ausbilden. Auch aus diesem Grund glaubt Löffelhardt, daß die Entstehung dieses Teamworks ein einmaliges Ereignis war, das sich zwischen einem Cyanobakterium und einer Wirtszelle abspielte. Der entstandene Ur-Plastid wäre dann der Urahn aller heutigen Varianten von Plastiden, auch der Chloroplasten der grünen Pflanzen und Algen. "Man muß sich vorstellen, wie kompliziert dieser Prozess ist: Es mußten Tausende Gene in den Kern transferiert werden, das ging sicher nicht ruckzuck", meint Löffelhardt. Auch immer mehr aus DNA-Analysen erstellte Stammbäume sprechen für die Einmaligkeit dieses Prozesses. Er soll etwa vor 1,2 bis 1,5 Milliarden Jahren passiert sein.

Das bakterielle Erbe

Möglicherweise haben die Cyanellen neben der Zellwand noch ein Cyanobakterien-Erbe: In ihrer Mitte ist ein Zentralkörper, den Löffelhardt für ein Carboxysom hält. Das ist ein spezieller Bereich in den Plastiden.

Photosynthetisch aktive Lebewesen haben nämlich ein überraschendes Problem: "Man macht sich immer Sorgen, daß zuviel CO2 in der Atmosphäre ist", so Löffelhardt, "tatsächlich ist für die Pflanzen eigentlich zuwenig da." Das Enzym, das das CO2 aus der Luft in organischen Kohlenstoff umwandeln soll, hat nämlich gar keine so besondere Bindungskraft für CO2. Die Evolution entwickelte spezielle Bereiche in den Plastiden, in denen die Bedingungen für die Umwandlung optimiert sind. In Cyanobakterien sind das eben die Carboxysomen.

Löffelhardt will nun beweisen, daß die Alge Cyanophora paradoxa eben noch ein Carboxysom hat. Das wäre ein weiterer Beweis dafür, daß diese Alge ein lebendes Fossil ist und die Endosymbionten-Theorie stimmt.

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