Als in der Nordsee noch Thunfische wimmelten

(c) Die Presse (Archiv)
  • Drucken

Meeresbiologie. Aus Archiven und mit Hightech werden Bestände und Wanderrouten erhoben.

Im Herbst 1919 zog ein dänischer Fischer, Wilhelm Madsen, an seiner Angel einen Thunfisch aus dem Kattegat. Er berichtete auch, er habe Hunderte gesehen, das hat keinen überrascht: Thunfische kamen seit Menschengedenken im späten Juni in Nord- und Ostsee, zu Tausenden, im Oktober verschwanden sie wieder. Den Fischern waren sie willkommen, nicht als Beute, sondern als Jagdgehilfen: Jeden Herbst wanderten in Schwärmen Hornhechte aus der Ost- in die Nordsee, hinter ihnen waren Thunfische her, die Hornhechte flüchteten in Küstennähe, dort brauchten die Fischer nur ihre Netze aufzustellen.

Auf Thunfische gingen sie nicht, man braucht besondere Jagdtechniken, Wilhelm Madsen war der Erste, von dem verbürgt ist, dass er einen fing. Aber bald kamen sie auf den Geschmack, die Techniken wurden entwickelt – unter ihnen Harpunen – 1929 wurde die erste Thunfischdosenfabrik in Dänemark errichtet. Andere Nord- und Ostseeanrainer folgten, bis in die 50er-Jahre wurden Zehntausende Tonnen gefischt. Auch Sportangler kamen, 1949 wurde in Kopenhagen der Scandinavia Tuna Club gegründet, er vergab jedes Jahr einen Preis für den größten Fisch, aber Anfang der 60er-Jahre gab es nicht einmal kleine mehr, den Club gibt es noch, den Preis auch, er geht nun an den weltweit größten Fang.

„Es hat einen hohen Fischereidruck gegeben. Aber wir sind nicht sicher, ob sie deshalb verschwanden“, erklärt Brian MacKenzie (Charlottenlund), der Archive ausgewertet hat, um die Entwicklung zu rekonstruieren (Fisheries Research, 5.8.). Er ist kein Historiker, er ist Fischereiforscher und arbeitet mit anderen daran, die Bestände wieder aufzubauen. Die anderen tun das mit Hightech, PATs, das heißt „Pop-up Satellite Archival Transmitting Pads“ und meint Messgeräte, die an den Tieren so befestigt werden, dass sie sich nach einiger Zeit lösen, auftauchen und die gesammelten Daten – Temperatur, Tauchtiefe etc. – an Satelliten senden.

Von Irland nach Kuba und Malta

In Irland hat Michael Stokesbury (Halifax) 2003 sechs Tiere mit PATs ausgestattet. Acht Monate später tauchten die PATs auf, einer bei Kuba, 6000 Kilometer weit, der zweite vor Portugal, ein dritter war noch im Fisch, als der vor Malta geangelt wurde. Die Forscher schließen daraus, dass getrennte Populationen im Sommer zum gedeckten Tisch der Nordsee kommen und dann in die Regionen zurückwandern, in denen sie sich fortpflanzen, Karibik und Mittelmeer (Hydrobiologia, 528, S.91). Wie pflanzen sie sich fort? Das erkundet Steven Theo (Stanford) mit PATs im Golf von Mexiko. Entscheidend ist die Temperatur: Warm muss das Wasser sein, aber nicht zu warm, sonst kostet die Reproduktion zu viel Kraft (Mar Biol 151, S.1).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.