Wissenschaftstag 2007: Sehnsucht nach einer Glühbirne

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Am Semmering bliesen Philosophen wieder einmal gegen den „Naturalismus“. Eine Soziologin zeigte dagegen viel Verständnis für die Physik.

Wie viele Physiker braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Elf. Einer schraubt, zehn stehen als Co-Autoren auf der Publikation.“ Diesen Witz erzählen sich Physiker, beim Wissenschaftstag am Semmering erzählte ihn die Grazer Soziologin Karin Knorr Cetina – nicht hämisch. Sie hat den Betrieb am Kernforschungsinstitut Cern erforscht, ergründet, wie dort das Individuum als Subjekt der Wissenschaft verschwindet: Publikationen mit 500 „Autoren“ (in alphabetischer Reihenfolge) sind keine Seltenheit, die Experimente in den Teilchenbeschleunigern sind so aufwendig, dass 1) ein Physiker einen großen Teil seines Arbeitslebens mit einem Experiment verbringt, 2) alles zusammenbricht, wenn man sich auf nur einen Kollegen nicht verlassen kann.

Physik: „Sehr viel negatives Wissen“

„Wie lässt sich eine Kollaboration von 2000 Physikern bewerkstelligen?“, fragte Cetina: „Ich könnte nicht einmal mit 15 Soziologen ein gemeinsames Projekt durchführen!“ Dazu komme der „Verlust des Empirischen“ durch die viel zu kleinen, schnellen und flüchtigen Teilchen, der die Physiker dränge, fortwährend das eigene Verstehen zu hinterfragen. Cetina diagnostiziert einen „apophantischen Ansatz“: Wie Theologen, die sich programmatisch darauf beschränken, zu sagen, was Gott nicht ist, produzieren die Physiker am Cern „sehr viel negatives Wissen, Wissen über die Grenzen des Wissens“. „Bis zu diesem Limit haben wir nicht gefunden, was wir suchen“: Dieser für Physiker typische Satz wäre auch vorbildlich für die Soziologie, meint Cetina.

Dieser Vortrag zeigte, wie eine respektvolle, nicht von Neid getriebene Annäherung der Geistes- und Sozialwissenschaften an die Naturwissenschaften aussehen kann. Wie erfrischend es ist, wenn einmal nicht das alte Klagelied von der „Naturalisierung des Menschenbildes“ gesungen wird.

Ja, natürlich „kultürlich“

Dieses sang am Semmering z.B. Peter Janich, Philosoph in Marburg, Proponent des „methodischen Kulturalismus“. Mit teils abenteuerlichen Argumenten versuchte er, Terrain für Philosophie und Geisteswissenschaften zu beanspruchen. So sieht er die (Mendelsche) Genetik deshalb nicht als reine Naturwissenschaft, weil sie ihre Erkenntnis aus gezüchteten Pflanzen, also keinen „reinen Naturgegenständen“ gezogen habe. „Kultürlich“ sagt Janich dazu. Auch mit der Selbstverteidigung der Biologie gegen den Kreationismus ist er nicht zufrieden: Die Naturwissenschaftler hätten gar nicht die Mittel, die Debatte zu führen, auch weil es nicht eine, sondern „viele konkurrierende Evolutionstheorien“ gebe. Diese seltsame Behauptung begründete er nicht näher.

Besonders empörte sich Janich über in der Philosophie wildernde Hirnforscher. Konkrete Angebote zur Kooperation könne ihnen die Geisteswissenschaft freilich nicht machen, sagte er – die Hilfestellung beschränkt sich wohl auf das Gesetz, dass alles, was irgendwie eine Metaebene erreicht, nur mit Bewilligung der amtlichen, konstruktivistisch geprüften Philosophie gedacht werden darf.

Ähnlich, wenn auch subtiler, argumentierte Herbert Schnädelbach, Philosoph in Berlin: Er wandte sich vehement gegen die von Wilhelm Dilthey formulierte Unterscheidung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften („ein Fetisch, der aus dem Verkehr gezogen werden sollte“), bescheidet der Naturwissenschaft aber gleich, sie sei „ein Feld komplexer kultureller Praxis auf kommunikativer Grundlage“, und sie möge keinesfalls dem „mechanischen Materialismus“ aufsitzen!

Gegen diesen Naturalismus hätte Dilthey einst die Unterscheidung zwischen Verstehen und Erklären eingeführt, dieses Schema habe aber ausgedient. Schnädelbach konnte auf Anfrage nicht erklären, was er denn mit „Verstehen“ meine, wetterte aber gegen „Neurophilosophen“, die gar nicht wüssten, was die Philosophie zu den Themen Bewusstsein, freier Wille etc. zu sagen habe.

Dabei ist diese laut Schnädelbach nicht einmal eine Geisteswissenschaft, sondern eine „Kultur der Nachdenklichkeit“. Ohne jeden Zynismus: Man muss befürchten, dass dieser schwache Anspruch ein gutes Argument für jene ist, die die Universitäten (inkl. Philosophie) lieber heute als morgen durch Fachhochschulen und (natürlich „exzellente“) außeruniversitäre Forschungseinrichtungen verdrängt sehen wollen.

Schrödingers Katze im Nebel

Jörg Schmiedmayer, Experimentalphysiker in Wien, hätte die Gelegenheit gehabt, die Ehre der Naturwissenschaft zu retten (und zu zeigen, dass sich viele Physiker sehr wohl mit Philosophie auskennen), nützte sie aber nicht. Er wollte über Bilder, Metaphern, Sprache und Exaktheit in der Physik reden, verwendete aber alle diese Begriffe so unpräzise (und ohne einsichtige Beispiele), dass nicht viel von seinem Vortrag blieb als ein Schneckenwitz, ein grausamer Schrödingers-Katze-Comic und die simple Botschaft, dass man halt Bilder braucht, sich aber nicht zu sehr auf sie verlassen soll...

So sehnte man sich quasi metaphorisch nach Glühbirnen. Draußen lag Freitagmittag dichter Nebel. Auch in diesem Sinn: Es konnte nur klarer werden beim Wissenschaftstag, der noch bis Samstag dauerte.

SEMMERING: Forschertreffen

Die Forschungsgemeinschaft, 1977 gegründet, veranstaltet jedes Jahr einen Wissenschaftstag, bei dem Professoren aller Fakultäten ein recht allgemeines Thema diskutieren und dabei auch gern zur Universitätspolitik Stellung nehmen. Heuriges Thema: „Einheit und Freiheit der Wissenschaft – Idee und Wirklichkeit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2007)

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