Auf der einsamen Sprachinsel

ALTE DIALEKTE. Das Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erforscht, wie altösterreichische Dialekte mitten in fremdsprachigem Gebiet überleben konnten.

Als ich das erste Mal den Ausdruck ,Sprachinsel' gehört habe, dachte ich wirklich an eine Insel“, verrät Ingeborg Geyer, Direktorin des ÖAW-Instituts für Österreichische Dialekt und Namenlexika. Nun liegt der Beginn ihres Interesses für inselartiges Vorkommen österreichischer Dialekte in fremdsprachigen Gegenden schon Jahrzehnte zurück. 1971 war es, als sie als Studentin erstmals auf eine Exkursion mit der Sprachforscherin Maria Hornung fuhr: Ziel der Reise waren Orte in der italienischen Provinz Vicenza mit den klingenden Namen „Sette Comuni“ und „Tredici Comuni“, also „Sieben“ beziehungsweise „Dreizehn Gemeinden“.

In diesen altösterreichischen Siedlungen sprechen die Bewohner die älteste lebendige Sprachform des Deutschen. Ähnliche Siedlungen gibt es vor allem auf italienischem Gebiet viele – man darf sie nicht mit Südtirol verwechseln. Als älteste Gemeinschaft wurden die „Sieben Gemeinden“ um das Jahr 1100 von Westtirolern und Oberbayern auf einem Hochplateau nördlich der Stadt Vicenza gegründet. Lange Zeit war die Siedlung eine autonome „Bauernrepublik“ – auch innerhalb des venezianischen Staates –, wo weiterhin die Sprache der Heimat gepflegt wurde. Bis heute erkennen Sprachforscher Züge des Alt- und Mittelhochdeutschen im „Zimbrischen“, wie die dortige Sprache genannt wird. „Als ich das erste Mal in den Ort kam, haben die Volksschüler uns im Mai ,Oh Tannenbohm, oh Tannenbohm, bie schön sind deine Pächler‘ vorgesungen“, erzählt Geyer amüsiert, was sie damals verstand – oder eben nicht. Im Wörterbuch der bairischen Mundarten fand sie das Wort „Pächler“ für „Blätter“, und von diesem Zeitpunkt an war die Begeisterung für Sprache und Kultur der Sprachinseln geboren.

Über 1000 Meter Seehöhe

Wieso gibt es denn so viele altösterreichische Siedlungen in Italien, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und sogar am amerikanischen Kontinent? „Im Mittelalter wurden aus strategischen Gründen Siedlungen zur Wegsicherung über Pässe errichtet oder auch dort, wo Maut eingehoben werden musste“, erklärt Geyer. Keine der Sprachinseln liegt unter 1000 Meter Seehöhe: „Wo die Romanen nicht hinzogen, wurden Deutschsprachige aus wirtschaftlich armen Regionen hingesetzt.“ Bald wurden aus den anfangs unwirtlichen Gegenden blühende Kolonien, da den Einwohnern viele Rechte eingeräumt wurden. Wer zog nicht gern in einen Ort, wo man zum Beispiel vom Wehrdienst befreit war?

Abgeschnitten vom Herkunftsland blieb der ursprüngliche Sprachzustand gut erhalten: Ohne die dialektale Entwicklung des zusammenhängenden deutschen Sprachraums wurde in den Sprachinseln Wortschatz, Lautstand und Formenlehre konserviert – jedoch selten auf Papier festgehalten. „Während meiner Dissertation über Tischelwang, südlich des Plöckenpasses im Friaul, sagten die Einwohner zu mir: ,Gut, dass du unsere Sprache aufschreibst. Weil wenn wir sterben, spricht es keiner mehr‘“, berichtet Geyer. Die Angst der Alten war, dass die Kinder keinen Sinn darin sehen, eine Sprache zu lernen, die außerhalb des Dorfes nicht verstanden wird. „Aber die Pflege der Sprache hängt stark mit der Identität der Gruppe zusammen“, erklärt die Sprachforscherin. Die ersten Kulturhäuser zur Dokumentation und Förderung des heimischen Dialekts entstanden in den „Sieben“ und „Dreizehn Gemeinden“.

Heute haben alle Sprachinseln ihren Kulturverein, der eigene Publikationen herausbringt. Dazu trugen besonders die EU-Minderheitenförderungen bei. Von EU-Geldern konnten die einzelnen Orte sogar eigene Wörterbücher zusammenstellen. Das Tischelwang-Wörterbuch gaben Ingeborg Geyer und ihre Kollegin Anna Gasser beispielweise 2003 beim Praesens-Verlag heraus. „Inzwischen gibt es für fast alle Sprachinseln schon Wörterbücher“, ist Geyer auf die Initiative des Sprachinselvereins stolz. Sie selbst führt seit 2002 das Sprachinselmuseum in Wien (18., Semperstraße 29), das 1982 von Herwig und Maria Hornung gegründet wurde – beide Vorreiter in der Kartierung und Dokumentation der altösterreichischen Sprachinseln.

Schon damals war das Museum bei Bewohnern der Sprachinseln bekannter als hier in Österreich: „Immer wenn die Leute nach Wien kamen, wollten sie das Museum sehen. Hier fühlten sie eine Wertschätzung, die sie zum Beispiel in Italien nicht hatten“, erinnert sich Geyer. Diese Haltung hat sich inzwischen vor allem durch die EU-Förderungen zum Positiven geändert.

Doch auch außerhalb Europas liegen Sprachinseln, die in Österreich erforscht werden. Neben den Hutterer-Siedlungen in Nordamerika (die „Presse“ berichtete am 30. Jänner) liegen in Südamerika faszinierende Örtchen, wo bis heute Alt-Tiroler Dialekte zu hören sind. Wer die Möglichkeit hat, Pozuzo in Peru, Llanquihue in Chile oder Treze Tílias und Colônia Tirol in Brasilien zu besuchen, wird staunen, wie die konservierten Sprachen klingen.

AUF EINEN BLICK

Die meisten deutschen Sprachinseln befinden sich im heutigen Italien. Aber auch in Slowenien, Tschechien, Ungarn, Siebenbürgen und der Ukraine werden bis heute altösterreichische Dialekte gesprochen.

Selbst in Nord- und Südamerika werden unter anderem alte Tiroler Dialekte gepflegt.

www.sprachinselverein.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2008)

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