Stereotypen: Behüte der Himmel vor weiblichen Hurrikans!

Hurrikan
Hurrikan(c) Nasa
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Ob ein kommender Sturm den Namen einer Frau oder eines Mannes trägt, entscheidet mit darüber, wie viele Opfer er fordert: Frauennamen suggerieren eine geringere Gefahr, die Vorbereitung ist schwächer.

Als Hurrikan Katrina 2005 über New Orleans herfiel, gingen nicht nur die Fluten des Meeres und des Mississippis hoch, sondern auch die der Metaphern: Der Sturm wurde „bitch“ genannt, und was diese Schlampe konnte, war bald auf T-Shirts zu lesen: „A blow job you'll never forget!“ Wie das? Wie kann eine Naturgewalt derart personalisiert und sexualisiert werden? Nur Stürme erhalten Namen, andere Schrecken, Erdbeben oder Fluten, werden nach den Regionen benannt, die sie heimsuchen. So war es bei Stürmen lange auch, ab und zu gesellten sich Heilige dazu, die Namenstag hatten, San Felipe etwa verheerte Puerto Rico gleich zwei Mal, 1876 und 1928, jeweils am 13. September.

„Just like my wife Gretchen“

Aber eine systematische Benennung von Stürmen wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen, ein australischer Meteorologe plädierte für Vornamen, er erntete Kopfschütteln. Das änderte sich im 2. Weltkrieg: US-Militärmeteorologen mussten ihre Flotte im Pazifik oft vor mehreren Taifunen zugleich warnen, es gab Verwechslungen, so erhielt jeder Taifun einen Namen, man bediente sich beim Funkalphabet – „Alpha“, „Bravo“ etc. –, aber das ging nur bis „Zulu“, und es kamen immer neue Stürme. Deshalb stellte das National Weather Service 1953 auf Namen um. Auf Frauennamen. Über den Grund gibt es nur eine Anekdote: Ein Meteorologe in Florida habe einen herannahenden Hurrikan beschrieben, er sei wild und launisch, „just like my wife Gretchen“.

Der Humor kam an, der US-Wetterdienst war eine Männerwelt. Aber so einfach ist es nicht mit den Stereotypen: Fast zur gleichen Zeit hatte Karla Wege – Meteorologiestudentin an der FU Berlin, später Deutschlands bekanntester TV-Wetterfrosch – die Idee, alle Tiefs über Deutschland mit Frauennamen zu belegen, alle Hochs mit denen von Männern. Das setzte sich durch, erst in Berlin, ab 1990 in ganz Deutschland, Orkantiefs wie Vivian oder Wibke hinterließen tiefe Spuren, auch in den Gedächtnissen.

1998 kam Gegenwind, feministischer – Frauen für das schlechte Wetter zuständig, Männer für das gute?! – in den USA hatte er 1972 schon Hurrikanstärke erreicht: Roxcy Bolton forderte auf der Jahrestagung des Wetterbüros das Umtaufen von „Hurricane“ – der Name kommt von den Maya, er meinte eine Strafe der Götter – in „Himicane“: „Hur-ricane“ klinge zu sehr wie „Her-rican“. So weit kam es nicht, aber ab 1978 wurde umgestellt, jeder zweite Hurrikan bekam den Namen eines Mannes. In Deutschland löste man das Problem ähnlich salomonisch, bei Hochs und Tiefs wurde jedes Jahr das Geschlecht gewechselt. Heuer sind Hochs männlich und Tiefs weiblich, jeder kann sie benennen, gegen Geld, Hochs sind seltener – Euro 299 –, Tiefs kommen günstiger, mit 199. Das Geld geht an die Meteorologiestudenten der FU, die das Wetter ständig präzise im Auge behalten (www.met.fu-berlin.de). Aber so einfach ist das nicht mit den Stereotypen, darauf machen Sozialforscher um Kiju Jung (University of Illinois) aufmerksam (Pnas, 2. 6.): Sie haben Bilanz über alle Hurrikans gezogen, die von 1950 bis 2012 die USA getroffen haben, es waren 92, 49 davon waren schwer, verursachten jeweils Sachschäden von über 1,5 Milliarden Dollar.

Frauenname? Doppelte Todesrate!

Und sie zeigen ein höchst frappantes Geschlechterverhältnis: „Von den 49 hatten 17 einen Männernamen und 32 den einer Frau“, fasst Jung gegenüber der „Presse“ zusammen: „Die 17 mit Männernamen hatten insgesamt 391 Tote zur Folge, die durchschnittliche Todesrate ist 23. Im Kontrast dazu brachten die 32 mit Frauennamen 1371 Tote, die Todesrate ist 43. Das ist fast das Doppelte.“

Das liegt natürlich nicht an den Stürmen, sondern an den Assoziationen, die ihre Namen auslösen: Nicht jeder Mann fürchtet einen Sturm so wie der Meteorologe aus Florida sein „Gretchen“, im Gegenteil, es gibt auch den „Woman are beautiful effect“ unter Männern, mehr noch unter Frauen: Ein Frauenname suggeriert, dass es eher sanft und milde zugehen wird, auf so einen Sturm bereiten sich Männer und Frauen weniger vor als auf einen, der mit einem Männernamen droht. Und das Phänomen wiederholt sich abgeschwächt in der Gruppe der Frauennamen, eine Bertha jagt mehr Angst ein als eine Sandy.

Diese Stereotypen sitzen tief, Jung hat es in Befragungen gezeigt: Es macht keinen Unterschied, ob Testpersonen die Geschlechterstereotypen teilen oder sie als zugeschriebene Rollen ablehnen. Deshalb ruft der Forscher nach einem „neuen System der Hurrikan-Benennung“, er weiß allerdings auch keines.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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