Warum Sex? Weil die Rote Königin es so will!

(c) Wikipedia / Illustration by John Tenniel of the Red Queen lecturing Alice for Lewis Carroll's "Through The Looking Glass"
  • Drucken

Dass die zweigeschlechtliche Reproduktion dazu dient, sich gegen Parasiten und Krankheitserreger zu wehren, konnte bisher nur im Labor gezeigt werden. Aber eine Süßwasserschnecke in Neuseeland, die sich entweder sexuell oder asexuell vermehren kann, bestätigt es in der Natur.

Warum und wozu Sex? Das fragen (sich) vor allem Männer. Es geht um ihre Existenz bzw. deren Legitimation. Denn die zweigeschlechtliche Reproduktion rechnet sich schlecht: Nur die weibliche Hälfte der Population mehrt sich, und sie vergeudet wieder die Hälfte des Nachwuchses an männliche Nachkommen, die wieder keine Jungen austragen. Der theoretische Biologe John Maynard Smith nannte das 1971 die „zweifachen Kosten von Sex“ bzw. „von Männern“. Gäbe es nur Frauen bzw. Weibchen, die sich selbst befruchten bzw. durch Jungfernzeugung mehren, wäre der eine Imperativ besser befolgt, über den sich Evolutionstheorie und Heilige Schrift einig sind: „Seid fruchtbar und mehret euch!“, „bringt so viel Gene wie möglich in die nächste Generation!“ Woher also der Luxus Mann? „Wir haben nicht einmal das geringste Wissen über den Grund der Sexualität“, bedauerte Charles Darwin 1862, „das ganze Gebiet ist noch in Dunkelheit verborgen.“

Daran hat sich wenig geändert, es gibt nur Hypothesen. Sie sind Legion. Man hat sie in drei Gruppen geordnet, „the good, the bad and the ugly“: Das mögliche „Gute“ ist die genetische Vielfalt, sie wird durch Sexualität zweifach erhöht, erst bei der Bildung der Keimzellen – Eizellen, Spermien –, dann bei ihrer Kombination. Ganz ähnlich ist es beim „Bösen“, in seinem Fall könnten durch die dauernden Rekombinationen verderbliche Mutationen wieder aus dem Genpool hinausgeschafft werden. Und das „Hässliche“? Das steht für Krankheitserreger und Parasiten bzw. den evolutionären Rüstungswettlauf zwischen ihnen und ihren Wirten. Die müssen zur Abwehr der Plagegeister ihre Genome ständig ändern: „Du siehst, dass du so schnell rennen musst, wie du kannst, um auf der gleichen Stelle zu bleiben!“

Manche Tiere haben die Wahl

Das lehrte die Rote Königin in „Alice hinter den Spiegeln“, deshalb heißt diese Theorie auch „Red Queen Hypothesis“. Im Labor hat sie sich bestätigen lassen, am Rundwurm, C. elegans. Der kann sich geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzen (höchst kompliziert). Für gewöhnlich überwiegt das Asexuelle stark, es bringt einfach mehr Nachwuchs. Aber wenn einer der größten Feinde des Wurms in der Gegend ist bzw. in der Petrischale, das Bakterium S. marcescens, steigt C. elegans auf Sex um. Gibt es Vergleichbares in der Natur? Auch die Neuseeländische Deckelschnecke – Potamopyrgus unlipodarum, sie lebt im Süßwasser – kann sich sexuell oder asexuell reproduzieren (auch kompliziert). Und wie sie die Gewichte legt, hat eine Gruppe um Curtis Lively (Indiana University) fünf Jahre lang in Seen in Neuseeland beobachtet. In diesem Fall heißt der Feind Microphallus, das ist ein Wurm, der die Schnecken sterilisiert. Und das gelingt ihm viel schlechter, wenn die Schnecken ihre Genome sexuell mischen (American Naturalist, August): „Männer sind nicht völlig überflüssig“, schließen die Forscher.

Na ja, in einer Tiergruppe sieht es auf den ersten Blick schon danach aus. Sie gilt als „Skandal der Evolution“, weil sie seit 80 Millionen Jahren keinen Sex betreibt und doch noch existiert: die bdelloiden Rotiferen oder Rädertierchen. Die leben in Pfützen, und sie werden von Pilzen attackiert, tödlich. Wenn die Pfützen aber rasch genug austrocknen, sterben die Pilze. Die Rädertierchen trocken nur ein und lassen sich mit dem Wind verwehen – zu anderen Pfützen, in denen (hoffentlich) keine Pilze sind. Sie laufen der Bedrohung also räumlich weg. Aber sie tun es auch auf einem zusätzlichen Weg, der zumindest stark an die Red Queen erinnert: Wenn Rädertierchen eintrocknen, platzen ihre Zellkerne auf, und dann können sie neue Gene aufnehmen, etwa die von Bakterien, die sie gerade im Magen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.