Möglichst ruhig auf Schiene

Muenchen Hauptbahnhof
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Geräusche im Verkehr. Züge sind umweltfreundlich, aber laut. Will man den Bahnsektor stärken, gilt es den Lärm zu reduzieren. Wissenschaftler arbeiten an neuen Modellen.

Wer kennt das nicht? Man steht am Bahnsteig und wartet, während Güter- oder Personenzüge an einem vorbeibrausen. Intuitiv weicht man zurück und ist erleichtert, wenn sich der Lärmpegel auf ein angenehmes Niveau senkt. Der Schienenverkehr ist, wie auch die Luftfahrt oder der Straßenverkehr, eine Quelle für Schallemissionen. Dieser „Verkehrslärm“ wird – je nach Betroffenheit – von unangenehm bis gesundheitlich beeinträchtigend empfunden. Das Gesamtgeräusch von Zügen entsteht in erster Linie durch die Oberflächenrauigkeit von Rädern und Schienen sowie den von ihnen abgestrahlten Schwingungen und geht mit der Fahrgeschwindigkeit Hand in Hand.

Ab einer Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern wird das Rollgeräusch stärker wahrgenommen als das Antriebsgeräusch, und jenseits der 180 Stundenkilometer überwiegen aerodynamische Geräusche. In einem breiten Geschwindigkeitsspektrum sind Rollgeräusche für Lärmemissionen hauptverantwortlich. Diese werden von Menschen als Schallimissionen wahrgenommen.

Von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung spricht die Weltgesundheitsorganisation WHO ab einem nächtlichen Schallpegel von 42 Dezibel, der bei Bahn-Hauptstrecken zu Pegelspitzen oft um ein Vielfaches überschritten wird. Bei gleichzeitiger Zunahme des Güter- und Personenverkehrs ergibt sich daraus ein Spannungsfeld zwischen Mobilität und Umweltbelastung durch Lärm. Wie sich dieser reduzieren lässt, erforschen Grazer Wissenschaftler am K2-Kompetenzzentrum Virtual Vehicle.

Schienenverkehr attraktiver machen

Dass mehr Güter von der Straße auf die Schiene kommen sollen, ist auf EU-Ebene im „White Paper on transport“ festgeschrieben. Einer der darin enthaltenen Schwerpunkte zielt darauf ab, den Schienenverkehr bei Endkunden attraktiver zu machen. Um dieses gesamteuropäische Vorhaben zu stemmen, startet nächstes Jahr „Shift2Rail“, ein Forschungs- und Innovationsprojekt von Europäischer Kommission und den zentralen Akteuren des europäischen Eisenbahnsektors.

Insgesamt sechs Jahre lang und mit einem Projektvolumen von rund 920 Millionen Euro ausgestattet, werden dabei erstmals private und öffentliche Kräfte gebündelt. „Bahnlärm hat nicht nur bei „Shift2Rail“, sondern im Bahnsektor insgesamt oberste Priorität. Alle Beteiligten arbeiten an Möglichkeiten, um ihn zu reduzieren“ erklärt Martin Rosenberger, der am Virtual Vehicle für den Bereich Eisenbahnforschung verantwortlich ist. Dort laufen derzeit die Vorbereitungen für eine Bewerbung als Forschungspartner bei „Shift2Rail“.

Als Entwickler von Simulationsmethoden und anderen Werkzeugen für die Automobil- und Eisenbahnindustrie hat sich das Forschungszentrum europaweit einen Namen gemacht. Was den Bahnlärm betrifft, so habe laut dem Mechatroniker ein Paradigmenwechsel stattgefunden: „Früher wurde eine neue Technologie entwickelt und produziert. Stellte sich im Nachhinein heraus, dass sich die Lärmemissionen dadurch verschlechterten, konnte nur mehr nachgebessert werden. Heute berücksichtigen wir den Faktor Lärm von Anfang an und können mithilfe von Simulationsmethoden bereits früh korrigierend in das Design eingreifen.

Wichtigster Aspekt in Sachen Lärmreduktion ist für die Forscher am Virtual Vehicle der Rad-Schiene-Kontakt, der im Forschungsbereich Bahn derzeit mit oberster Priorität behandelt wird. Der schwer zugängliche Bereich, wo Rad auf Schiene trifft, ist die Hauptquelle für das Rollgeräusch. Wie laut oder leise es ist, hängt primär damit zusammen, wie rau die Oberflächen sind.

„Uns beschäftigt dabei, wie sich Materialien verhalten, wie sich Rauigkeit von Rad und Schiene oder auch Zwischenstoffe wie Wasser, Laub oder Sand auswirken oder welche Temperaturen dort entstehen“, sagt Rosenberger und ergänzt, dass aktuelle Forschungsergebnisse vorliegen, die bereits zu einem besseren Verständnis dieser Prozesse führen. In Europa sei das Kompetenzzentrum, was die Erforschung des Rad-Schiene-Kontakts und die Simulation verschiedener Aspekte betrifft, laut Geschäftsführer Jost Bernasch, führend.

Neue Wege, um Lärm zu „schlucken“

Lärmreduktion hängt mit vielen Faktoren, unter anderem auch mit Materialverschleiß und -schädigung zusammen. „Für einiges gibt es bereits technische Lösungen. Absorber als technische Hilfsmittel, die Lärm schlucken, für Rad und Schiene sind nur eines von vielen Beispielen. Heute geht es darum, das Gesamtsystem zu kennen und die Wechselwirkungen beschreiben zu können“, sagt Bernasch.

Eine weitere Herausforderung betrifft den Trend zur Leichtbauweise, die sich im Bahnsektor unter anderem aus sicherheitstechnischen Gründen noch nicht durchgesetzt hat. Hier müssen erst Wege gefunden werden, um zu verhindern, dass der Lärm zunimmt. Schließlich soll der Schienenverkehr der Zukunft zwar „gleisfreundlicher“, aber nicht lauter werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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