Vereisung in 10.000 Metern Höhe

Blick aus dem Flugzeug
Blick aus dem Flugzeug (c) www.BilderBox.com
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Simulation im Windkanal. Mit der neuen Wolkenmaschine von Rail Tec Arsenal werden neue Enteisungsmethoden für die Tragflächen von Flugzeugen getestet.

Etwas Spannung klingt in der Stimme mit. „69, 105, 126, 170, jetzt geht's dahin, 200, 240.“ Der High-Speed-Test, der am Freitag dieser Woche im Windkanal des Rail Tec Arsenal (RTA) mit dieser Ansage von einem halben Dutzend Technikern beobachtet wird, läuft richtig an. Bei einer Windgeschwindigkeit von 294 km/h ist die Höchststufe erreicht. „Jetzt startet die Wolke“, gibt Projektleiter Markus Villinger über die Sprechanlage seine Anweisung. Dabei handelt es sich um die neu entwickelte und im März dieses Jahres in Betrieb gegangene tatsächliche Simulation einer Wolke im Eiskanal.

Fünf Tage lang wurde das Projekt „eWINDE-ICER“ im Windkanal in Wien Floridsdorf getestet. Es geht um ein energieeffizientes Verfahren für die Luftfahrt, wie Markus Villinger, Chef von Villinger Research & Development in der Tiroler Gemeinde Mieders, sagt. Genauer: um die Entwicklung eines energieoptimierten thermoelektrischen Tragflächen-Enteisungssystems für die Luftfahrt.

„Die Vereisung bei Flugzeugen ist nach wie vor eines der größten Sicherheitsrisken in der Luftfahrt“, sagt Villinger, der von der eigenen Erfahrung als Pilot mit Blindflugberechtigung profitiert. Im Normalfall wird das Durchfliegen von Wolken eher vermieden, „aber man sieht die Wolken nicht immer“. So sei unter anderem auch der Airbus-Absturz des Air-France-Flugs 447 am 1. Juni 2009 in der Karibik oder der Absturz einer Tupolew Tu 154 am 10. April 2010 bei Smolensk, bei dem auch der polnische Staatspräsident Lech Kaczyński zu den Opfern zählte, auf Vereisungsprobleme zurückzuführen.

Um zu verhindern, dass Tragflächen vereisen, gab und gibt es mehrere Methoden. Das Eis, das sich rasch an den Flügeln ansetzt, verändert deren Form, die Aerodynamik leidet, der Auftrieb nimmt ab und kraftraubender Widerstand nimmt zu. „Ohne Auftrieb fällt das Flugzeug herunter“, sagt Villinger. Der größte Eisbefall entsteht bei Temperaturen von plus zwei bis minus zehn Grad und beim Durchfliegen einer vereisten Wolke. Bei den bisherigen in einer Metallstruktur erbauten Flugzeugen wurde aus den Triebwerken die sogenannte Zapfluft (bleed air) an die vorderste Kante der Tragflächen geblasen. Die Zapfluft, die die Eintrittskante erwärmt, verhindert eine Vereisung.

Probleme mit Kunststoffflügel

Mit der Boeing 787 Dreamliner ist seit 2011 eine neue Flugzeuggeneration auf dem Markt, die über höchst stabile und aerodynamisch effiziente Kunststoffflügel verfügt. Die neuen Tragflächen – Kohlefaser anstelle des bisherigen Aluminiums – werden aber durch die heiße Zapfluft in Mitleidenschaft gezogen. Daher ist ein ziemlich aufwendiges thermoelektrisches System erforderlich, das bis zu drei Watt pro cm2 der zu erwärmenden Flügelfläche erfordert. „Das entspricht 30.000 Watt pro m2“, so veranschaulicht Villinger die Dimension. Zudem ist der Betriebschef davon überzeugt, dass die anderen Hersteller wie die Airbus-Gruppe bei der Konstruktion der nächsten Flugzeuggeneration auf Kunststoffmaterialien setzen werden.

Beim Energieverbrauch setzt Markus Villinger mit seinen Mitarbeitern an. „Unser System soll auf schätzungsweise ein Viertel des Energiebedarfs herunterkommen.“ Dabei helfen die von seiner Firma entwickelten Heizlacke, die unter der Erosionsschicht der Flügel aufgetragen werden und höhere Temperaturen zulassen. Vom bisherigen Anti-Ice-System (man lässt kein Eis an den Flügeln entstehen) wechselt Villinger zum hybriden System aus einer Anti-Ice-Zone und einem De-Ice-System.

Das heißt: Es soll sehr wohl ein etwa einen Millimeter dicker Eisbelag entstehen, der eine Isolationsschicht zwischen dem Flügel und dem sich bildenden Eis darstellt. Wichtig ist, dass die Spitzenlinie der Eintrittskante eisfrei bleibt, dass sozusagen das Eis in der Mitte auseinandergeschnitten wird. Das Eis darf sich vorne nicht schließen, dann werden die Wassertropfen an den Tragflächen schon im Stadium der Eisbildung durch die Aerodynamik weggeschleudert. Bei Hubschraubern ist die Enteisung leichter zu bewerkstelligen, da durch die Rotation das an der Kontaktschicht durch die Heizung angetaute Eis weggerissen wird. Die Wolkensimulation, das mobile „Icing Rig“ im Vereisungskanal, bietet die ideale Testsituation, zudem können Bedingungen wie solche in einer Höhe von 10.000 Metern und mehr geschaffen werden. Die größte Herausforderung bei der Entwicklung der Wolkenmaschine war, die Wassertröpfchen, die aus der Wolke auf einen Gegenstand treffen, flüssig zu halten, wie Hermann Ferschitz, Entwicklungsleiter bei RTA, erklärt.

Bei den Tropfen einer Wolke entsteht keine Kristallisation, sie bleiben hochreines Wasser. Erst beim Auftreffen auf einen Gegenstand bilden sie Eis. Der „Icing Rig“ besteht aus elf Barren mit insgesamt 264 Düsen. Die Wolke bzw. die Wassertröpfchen werden mit nahezu 300 km/h über den Testgegenstand geschoben. „Was die Wolke betrifft, ist es die größte Anlage der Welt für Triebwerkerprobungen“, sagt Ferschitz. Die Entwicklungskosten der Wolkenmaschine, an deren Aufbringung das Technologieministerium beteiligt war, betrugen 1,15 Millionen Euro.

21.000 Euro pro Testtag

In der Firma Villinger Research & Development sind 15 Mitarbeiter tätig. „Das Gute an der Luftfahrt ist, dass es hier um keine großen Stückzahlen geht“, sagt Markus Villinger. Kooperationen mit Flugzeugherstellern gibt es bereits, insgesamt sind bis zu 17 Firmen involviert. Die Kosten für einen Versuchstag im Eiskanal belaufen sich auf 21.000 Euro, die Entwicklungskosten werden von der FFG gefördert, zudem ist in der Entwicklungsarbeit RTA als Partner eingebunden. Ein Testlauf dauert eine halbe Stunde, dann sind genügend Erkenntnisse gesammelt. Schon während des Tests gibt Villinger Anweisungen hinsichtlich des Ausmaßes der Erwärmung und der idealen Abstimmung – es geht ja um ein konkurrenzfähiges Tragflügelprodukt für die Luftfahrt. [ Clemens Fabry ]

AUF EINEN BLICK

Forschungsziel. Im Rahmen des Projekts „eWINGDE-ICER“ soll eine Methode zur Herstellung von energieoptimierten Enteisungssystemen für Tragflügel-Vorderkanten, basierend auf einem thermoelektrischen Heizsystem, entwickelt werden.

Test im Windkanal. Der Klima-Wind-Kanal von Rail Tec Arsenal in Verbindung mit der dort entwickelten Wolkenmaschine bietet die geeignete Testsituation. Die „Wolke“ – bestehend aus 264 Düsen, die nicht frierendes Wasser ausstoßen – wird sozusagen über eine Tragfläche geschoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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