Eroberung der Dunkelheit

(c) EPA (Olivier Matthys)
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Sehen mit den Ohren: Mit Echolokation orientieren sich Fledermäuse, aber auch Zahnwale. Sie fanden unabhängig voneinander die gleiche Lösung.

Wer vom Licht in die Finsternis steigt, sei es in die Höhen der Nacht, sei es in die Tiefen der Ozeane, der braucht neue Orientierung, die Ohren können gespitzt werden, bei den Augen ist es schwieriger, Optimierung hilft ein wenig, für die Feinheiten aber muss Ersatz geschaffen werden. Das merkten zuerst die kleinen Säuger, die sich vor 64 Millionen Jahren in die Lüfte erhoben haben: die Fledermäuse. Die waren große Erfinder, sie entwickelten schier Unglaubliches: „Fledermäuse sehen mit den Ohren.“

Diese Schlussfolgerung zog Lazarro Spallanzani, italienischer Naturforscher (und Priester), 1794 aus Experimenten, in denen ihm vor gar nichts graute: Er stach Fledermäusen die Augen aus, sie fanden doch ihren Weg, er verklebte ihnen Nase und Maul, sie ließen sich nicht beirren. Erst als er ihnen Hauben über die Ohren streifte, knallten sie an die Wand. Wie sie die orten, klärte 1937 Donald Griffin: Sie stoßen mit dem Maul und/oder der Nase hochfrequente Töne aus – extrem laute, bis zu 140 Dezibel, so dröhnt in unserem Hörbereich ein Düsenflugzeug in 30 Metern Entfernung –, sie schreien also aus voller Lunge, dann erlauschen sie die Echos, die werden in Orientierung im Raum und über Beute umgesetzt (Spallanzani hatte offenbar die Mäuler/Nasen nicht gut verklebt).

Griffen nannte das Phänomen Echolokation, man fand es später auch bei anderen Lebewesen, sogar bei Menschen, manche Blinde erzeugen mit der Zunge Klicklaute und finden damit ihren Weg. Aber richtig mithalten mit den Fledermäusen können nur andere Säuger, jene, deren Ahnen vor 48 Millionen Jahren in Sümpfen an den Küsten Kaschmirs wateten – dort gab es Küsten –, sie sahen aus wie Füchse, waren also etwas kleiner als die, die Charles Darwin imaginiert hatte: „Ich sehe keine Schwierigkeit in der Vorstellung, dass eine Gruppe von Bären durch natürliche Selektion in Körperbau und Verhalten immer aquatischer wurde, immer größere und größere Mäuler bekam, bis eine Kreatur produziert wurde, die so ungeheuer war wie ein Wal.“ Das schrieb er, nachdem er von einem Braunbären gelesen hatte, der stundenlang im Wasser schwamm und es mit dem offenen Maul nach Insekten durchsiebte.

Weit daneben lag Darwin nicht. Die Urwale bauten sich für das Leben im Wasser um, als sie teilweise noch auf dem Land lebten. Warum sie von dort immer wieder und immer länger in die Sümpfe stiegen, ist unklar – sie suchten entweder Zuflucht oder Futter oder beides –, sicher ist, dass sie schon in dieser Zwischenphase ihre Schädel auf das Wasser umstellten, vor allem ihre Ohren. Die mussten in den Körper hinein, und damit der Schall sie doch noch erreichte, legten manche Wale eine eigens produzierte schallleitende Fettschicht darüber. Das taten die, die nicht nur passiv in die Meere lauschten wie die Bartenwale, sondern aktiv Echolokation betrieben: die Zahnwale. Sie orten Beute, zunächst waren sie hinter Nautiloiden her, Kopffüßlern mit sehr harten Schalen, für die reichte ein eher simples Sonar.


Variante eines Gens. Aber unter ihnen richteten die Wale eine derartige Verheerung an, dass sie sich bald umstellen mussten, auf Kraken und Tintenfische, die sind weich, brauchen elaborierteres Sonar, vor 32 Millionen Jahren war es da: Besondere Knochenstrukturen zwischen Augen und Maul – man sieht sie am deutlichsten bei den Delfinen – fokussieren den ausgesandten Schall. Aber wie gut auch immer geschallt wird: Wenn das Echo kommt, muss es höchst präzise aufgefangen werden, so wie bei den Fledermäusen auch. Und dafür haben die Riesen der Meere und die Zwerge der Lüfte exakt die gleiche Lösung gefunden: Die Härchen in ihren Ohren – sie nehmen Schallwellen auf und verstärken sie – sind identisch bis ins molekulare Detail. Ihr Bau wird bei allen Säugetieren vom Gen bzw. Protein Prestin gesteuert, und von dem haben Wale und Fledermäuse eine identische Variante entwickelt – durch den Austausch einer Aminosäure –, Jianzhi Zhang (University of Michigan) hat es anno 2010 bemerkt (Current Biology R55), Peng Shi (Chinese Academy of Sciences, Kunming, Yunnan) hat es vor Kurzem mit größerer Feinheit bestätigt (Molecular Biology and Evolution, 19.6.).

Die Identität ist um so erstaunlicher, als Wale und Fledermäuse ihre Töne anders erzeugen – Wale mit den Lippen, Fledermäuse mit dem Kehlkopf, manche mit der Zunge –, auch in anderen Frequenzen, Luft leitet Schall langsamer als Wasser. Immerhin ist beim Letzterem noch halbwegs vorstellbar, dass ein Landtier hineinsteigt und sich umbaut. Mit der Luft ist es schwieriger, die Fledermäuse mussten dazu ja auch Flügel entwickeln. Kamen die zuerst, oder war es die Echolokation oder beides zugleich? Zwei Revolutionen auf einen Schlag sind schwer vorstellbar. Also zuerst der Flug? In der rabenschwarzen Nacht?! Zuerst die Echolokation? Das Erzeugen des Schalls braucht viel Energie, sitzende Fledermäuse können sie nicht aufbringen, es geht nur im Flug, dann helfen die Flugmuskeln beim Schall. Bleibt: Flug zuerst, aber am Tag!

Der Kompromiss stammt von John Speakman (Aberdeen), er vermutet, die Fledermäuse hätten erst den hellen Himmel erobert und sich dann – als Jäger kamen: Raubvögel – ins Lichtlose geflüchtet (Mammal Review, 31, S.111). Als sie endlich dort waren, optimierten sie, sie mussten Umgebung und Beute auseinanderhalten lernen, das tun sie mit verschiedenen Frequenzen, jene der Jagd sind auf die Beute abgestimmt, die Wellen dürfen nicht länger sein als die Flügelspannweite der bevorzugten Beute: Nachtfalter. Deshalb jagen die meisten Fledermäuse mit Frequenzen von 20 bis 60 Kilohertz, was in Wellenlängen – die entsprechen ungefähr den Beutegrößen – 1,7 bis 0,5 Zentimeter ergibt.

Dann müssen sie sich der Beute unauffällig nähern, sie erhöhen dazu die Rufrate und fahren die Lautstärke herab, aber sie dürfen sich auch nicht verwirren lassen – manche Nachtfalter nehmen die Herausforderung an und antworten auf das Sonar mit Gegenschall –, schließlich müssen sie Kollisionen mit Artgenossen vermeiden, körperliche wie akustische: Wie das geht, hat Shizuko Hiryu (Doshish University) gerade an fünf Gramm leichten japanischen Hausfledermäusen geklärt, denen sie 0,6 Gramm leichte Mikrofone umgehängt hat (Journal of Experimental Biology, 217, S.2885): Hört eine Fledermaus eine andere, ändert sie die Frequenz und das zeitliche Muster ihrer Rufe, das bringt Sicherheit auch in der düstersten Nacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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