Neue Technologie für Herztherapie

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Das Wiener Start-up Miracor hat eine neue Technologie für Herzinfarkt-Patienten entwickelt. In wenigen Jahren soll sie im Einsatz sein und Folgeschäden reduzieren.

Bei einem Herzinfarkt muss alles schnell gehen. Teile des Herzens werden nicht ausreichend mit Blut versorgt. Sauerstoff und Nährstoffe fehlen, Herzmuskelzellen können absterben – mit mitunter tödlichen Folgen für den Patienten. Doch selbst wenn rechtzeitig reagiert wird, können Schäden zurückbleiben. Teile des Herzmuskels können nachhaltig in ihrer Pumpfunktion beeinträchtigt sein.

Das Wiener Start-up Miracor hat ein neuartiges System entwickelt und will die Folgeschäden nach einem Herzinfarkt reduzieren. Herz-Kreislauf-Erkrankungen – zu denen der Herzinfarkt oder auch Schlaganfälle zählen – sind die häufigste Todesursache in Österreich. Auf die Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen will der Weltherztag am kommenden Montag aufmerksam machen.

Kein Blut in kleine Gefäße

Tritt ein Herzinfarkt auf, kann als Therapie eine Herzkatheter-Untersuchung durchgeführt werden. Dabei erkennt der behandelnde Arzt das verschlossene Gefäß und kann eingreifen, indem er es mechanisch wieder öffnet. Damit sich das Gefäß nicht wieder verschließt, platziert man einen Stent: Das feine, tunnelförmige Gitter – häufig aus Metall – dient als Gefäßstütze.

Doch im Gewebe nach dem Verschluss treten bereits kurz nach dem Herzinfarkt Veränderungen auf. „Die kleinen Blutgefäße haben die Eigenschaft, dass sie sich verschließen, etwa verkleben. Selbst wenn der Stent eingebracht wird, fließt in sie kein Blut“, sagt Miracor-Geschäftsführer Ludwig Gold. „Nach rund vierzig Stunden stirbt das Gewebe ab.“ Der Schaden bleibt.

„Bei rund zwei Drittel der Patienten mit einen Herzinfarkt, der das ganze Gefäß verschließt, ist die Versorgung der kleinen Gefäße trotz erfolgreicher Akuttherapie mäßig bis schlecht“, sagt Gold. „Diese Patientengruppe profitiert am meisten von der neuen Therapie.“

Doch wie funktioniert das neue System? Die Technologie heißt PICSO und steht für Pressure-controlled Intermittent Coronary Sinus Occlusion. Das System besteht aus einem Herzkatheter und einer Bedienungskonsole. Es ersetzt nicht bisherige Therapien, sondern soll diese ergänzen.

Über einen Zugang in der Leiste wird ein Katheter in eine Vene eingeführt und zum Herzen vorgeschoben. Platziert wird der Katheter, wo die Gefäße, die den Herzmuskel versorgen, zurück in den Blutkreislauf – genauer in den rechten Vorhof – münden. Dort wird schließlich ein Ballon aufgeblasen, der das Gefäß verschließt. Der Druck in den Herzgefäßen steigt. Da der Ballon auch hinter dem ursprünglichen Verschluss liegt, steigt dabei der Druck im zuvor verschlossenen Gefäß. Das System ändert regelmäßig die Druckverhältnisse. Es baut den Druck im Gefäß schnell auf und ab. Dies erfolgt durch das Aufblasen und Auslassen des Ballons und dauert zwischen acht und fünfzehn Sekunden. Durchgeführt werden mehrere Verschlusszyklen, das System arbeitet komplett automatisch.

Die Therapie dauert ingesamt zwischen 30 und 45 Minuten, die Behandlungsdauer hängt vom jeweiligen Patienten ab. „Die Technologie ist patientenorientiert“, sagt Gold. Das System misst gleichzeitig mit den Verschlusszyklen Daten wie Druck- und Strömungswerte des Patienten und passt die Therapie entsprechend an.

Durch das System erreiche man drei unterschiedliche Effekte, sagt Gold: Die kleinen Gefäße, welche kein Blut mehr hineinlassen, werden durch den höheren Druck geöffnet. „Wir bringen Blut in jene Randbereiche, in die keines mehr fließen würde“, sagt Gold.

Ein zweiter Vorteil der Therapie ist der sogenannte Auswascheffekt: Durch die Mangelversorgung des Herzmuskels entstehen Schadstoffe. Die neue Technologie transportiert diese schneller ab. Die Schadstoffe entstehen durch die fehlende Versorgung des Gewebes mit Blut und können es weiter beeinträchtigen.

Das Entwicklerteam beobachtete auch langfristige Effekte: Die Bildung von neuen Blutgefäßen wird durch die Technologie unterstützt.

Auch bei teilweisen Verschlüssen von Gefäßen kam es zudem bisher durch das ruckartige Öffnen des verschlossenen Gefäßes dazu, dass das Gebiet dahinter teilweise Schaden nahm. Indem der Druckunterschied reguliert wird, können die Schäden reduziert werden.

Alles in allem habe man ein wichtiges Ergebnis beobachtet: „Wir können mit der neuen Methode mehr Herzmuskelgewebe retten als nur mit einem Stent“, sagt Gold.

Europaweit getestet

Derzeit fokussiert sich das Unternehmen auf schwerwiegende Herzinfarkte, bei denen das ganze Gefäß verschlossen ist. In Zukunft hofft man, dass das System auch bei Bypässen und Herzinsuffienz Anwendung findet. Für die Therapie bei Herzinfarkten wurde die Technologie bereits an 160 Patienten in mehreren Zentren europaweit getestet.

Das Medizinprodukt wurde bereits von einer externen Stelle zertifiziert. Bis es auch in den Krankenhäusern vollständig eingesetzt wird, sind noch einige Schritte offen: Damit die Behandlung von den Kassen bezahlt wird, müssen weitere Studien durchgeführt werden. „Wir planen zurzeit für das nächste Jahr eine große Studie an mehreren Zentren“, sagt Gold. An der Studie sollen 300 Patienten teilnehmen. Die eine Hälfte erhält die neue Therapie, die zweite ist eine Kontrollgruppe. Zurzeit werden die Zentren auf die Studie vorbereitet. Gold rechnet, dass in drei bis fünf Jahren in Österreich eine Kassenrückerstattung erfolgen könnte.

Miracor wurde 2008 gegründet und beschäftigt zurzeit 15 Mitarbeiter. Die entwickelte Technik stammt von Werner Mohl, Herzchirurg am AKH Wien und Professor an der Med-Uni Wien. Neben privaten Investoren fördern Austria Wirtschaftsservice (aws), Forschungförderungsgesellschaft (FFG), das Zentrum für Innovation und Technologie (ZIT) und EuroStars die Technologie. [ Corbis ]

LEXIKON

Ein Herzinfarkt tritt auf, wenn ein Herzkranzgefäß verstopft. Herzkranzgefäße sind für die Versorgung des Herzmuskels zuständig. Durch den Infarkt wird das Gewebe nicht mehr ausreichend versorgt und beginnt abzusterben.

Bei einer Herzkatheteruntersuchungwird ein Führungsdraht in das Blutsystem eingeführt und bis zu seinem Bestimmungsort vorgeschoben. Im Rahmen der Untersuchung können verschlossene Gefäße wieder geöffnet werden.

Das System von Miracor verwendet einen Ballon. Er verschließt kurzzeitig das Gefäß, das hinter der verstopften Stelle liegt. Dadurch entsteht eine Druckerhöhung, und kleine Gefäße können nach Öffnen des Verschlusses wieder durchblutet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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