So gut wie das Auge, aber objektiv und unbestechlich

Ein innovatives Messsystem kommt Oberflächenfehlern von Bauteilen auf die Spur – mit weltweit einmaliger Zuverlässigkeit.

Das menschliche Auge ist das differenzierteste optische Messsystem, das es gibt. Es in allen seinen Facetten und Eigenschaften nachzubauen, ist bislang nicht gelungen – und es wird auch in Zukunft noch lange nicht möglich sein. Allerdings wird die Technik immer besser. Und zudem können künstliche Systeme Nachteile der Natur von vornherein vermeiden. So etwa die mit der Zeit sinkende Aufmerksamkeit sowie die Subjektivität, die mit allen Wahrnehmungs-vorgängen einhergeht.

Die optische Beurteilung ist in der Industrie weiterhin wesentlich, betonen die beiden Leobener Kunststoff-Forscher Dieter Gruber und Walter Friesenbichler. Sie nennen ein simples, aber typisches Beispiel. „Die Autohersteller schicken Qualitätsprüfer zu den Zulieferern, die stehen neben der Produktionsmaschine und sagen: Der Teil passt, oder der Teil passt nicht.“

Viele Bauteile haben aus produktionstechnischen Gründen unschöne Stellen, etwa „Bindenähte“, an denen bei der Produktion zwei Plastik-Schmelzströme aufeinander getroffen sind (siehe Foto, links). Oft versucht man das Auge zu täuschen, indem man konstruktive Notwendigkeiten etwa mit Lederstrukturen zu verstecken sucht. Doch das Auge ist scharf – und bis zu 80 Prozent der Kunststoffteile, die für den Sichtbereich im Autoinneren produziert werden, müssen wegen sichtbarer Oberflächenfehler aussortiert werden, berichtet Friesenbichler.

Die Beurteilung durch die Qualitätsprüfer ist allerdings nicht 100-prozentig: die Menschen ermüden, das Ergebnis hängt stark vom Sehvermögen und der Tagesform ab. „Es gab bisher keine Methode, das auf physikalisch objektiver Basis zu machen“, so der Kunststoff-Professor. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt ist das nun gelungen: Gruber, tätig am „Polymer Competence Center Leoben“ (PCCL), hat eine Methode entwickelt, die in allen relevanten Eigenschaften der menschlichen Wahrnehmung entspricht, aber gleichzeitig objektiv und reproduzierbar ist.

Die mittlerweile patentierte Methode arbeitet in zwei Stufen. Erstens wird die Intensität des an der Oberfläche reflektierten Lichtes ermittelt. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn es soll nicht nur die an der Oberflächenstruktur des Materials reflektierte Strahlung ermittelt werden – sondern auch die Strahlungsanteile, die aus tiefer liegenden Schichten kommen. So wie es das Auge tut. Zudem muss von gewollten Oberflächenstrukturen wie einem Ledereffekt abstrahiert werden. Gruber hat dazu eine elektrodynamische Modellierung entwickelt.

Der zweite Schritt ist die Verarbeitung dieser Intensitätsverteilung zu visuellen Eindrücken, die denen des menschlichen Sehapparats gleichen. Dieser ist zwar in mancherlei Hinsicht subjektiv, doch es gibt dennoch physikalische Prinzipien, an die sich das Auge und die Signalverarbeitung im Gehirn halten. So wird etwa das Auflösungsvermögen des Auges oder die menschliche Kontrastwahrnehmung berücksichtigt.

Nach sechsjähriger Entwicklungsarbeit ist die neue Methode zur „Charakterisierung des Erscheinungsbildes von Werkstoffoberflächen“ nun fertig, sie hat sich in der Praxis bereits mehrfach bewährt. Und zwar nicht nur bei Spritzgussteilen aus der Kunststoff-industrie, sondern auch bei Lack-, Stahl- und sogar Papier-Oberflächen. ku

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2008)

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