Zooplankton: Die Mixer der Meere

Selbst der größte Fisch - der Walhai - bringt kaum Bewegung in die Meere. Aber seine wuselnde Beute, die winige Zooplankton, tut es.
Selbst der größte Fisch - der Walhai - bringt kaum Bewegung in die Meere. Aber seine wuselnde Beute, die winige Zooplankton, tut es. (c) EPA (Cemex Foundation Philippines/Jv)
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Die größte aller Wanderungen im Tierreich findet täglich in den Ozeanen statt. Dann zieht Zooplankton hinauf und hinab. Das durchwirbelt das Wasser.

Igendwo in den Weiten der auch vom Weltkrieg erschütterten Ozeane trauten professionelle Lauscher der US-Marine 1942 ihren Ohren bzw. Augen nicht. Sie waren mit Schall auf U-Boot-Jagd, mit aktivem Sonar, wie ihn etwa auch Delfine nutzen, wenn sie hinter Beute her sind: Sie lärmen gezielt ins Wasser hinein und machen sich aus dem Reflexionsmuster ein Bild. Aber die Muster auf den Sichtschirmen der U-Boot-Jäger zeigten etwas, das es nicht geben konnte: Meeresboden, wo keiner war. Das Militär nannte das Phänomen „false bottom“ oder „phantom bottom“ und hüllte einen Mantel des Schweigens über – einen mutmaßlichen Mantel des Schweigens: Man fürchtete, U-Boote des Gegners könnten sich unter dem doppelten Boden verstecken, sobald dessen Existenz bekannt würde.

Aber man rief auch Meereskundler zu Hilfe, und die bemerkten rasch, dass die Phantome aus Lebewesen bestanden, ganz kleinen und vielfältigen: Zooplankton zieht hinauf und hinab. Dass Leben im Wasser so wandert – auch in Seen –, wusste man natürlich, Fischer haben sich danach gerichtet, auch Meeresbiologen fanden ihre Netze zu verschiedenen Tageszeiten verschieden gefüllt. Aber das Ausmaß zeigte sich erst im Sonar bzw. in den Schlieren der Bilder: Diese Wanderung stellt, von der Biomasse her, alle anderen in den Schatten – etwa die der Gnus, die Ostafrikas Savannen erbeben lassen –, und sie geht täglich vor sich, über hunderte Meter, erst hinauf aus der Tiefe, später wieder hinab.

Wie geht das zu, was steht dahinter? Die ersten lebenden Wolken im Wasser, die man bemerkte, stiegen am Abend hinauf und am Morgen hinab, man vermutete, es gehe um Nahrung und Schutz. Oben an der Meeresoberfläche gibt es mehr zu fressen, aber bei Tageslicht haben Räuber die Augen offen, und vor allem das Tageslicht selbst ist eine Gefahr: Die UV-Strahlung der Sonne kann tödlich sein. Aber dieses plausible Bild verschwamm bald, Zooplankton hat viele Mitglieder, manche schwimmen am hellen Tag hinauf und in der Nacht hinab, andere über den Tag hinweg mehrfach, wieder andere wandern in völlig lichtlosen Tiefen. Zudem ist überhaupt nicht ausgemacht, ob es oben mehr zu fressen gibt: Zwar wird in Wärme und Licht viel produziert, doch es gibt auch hungrige Mäuler zuhauf, und was hinabsinkt oder vom Zooplankton hinabgebracht wird, hält sich in der Kälte lang, wird nicht so rasch von Bakterien zersetzt.

Aber wann auch immer – gewandert wird, meist im Tagesrhythmus, deshalb heißt es „diel vertical migration“. Der Takt ähnelt frappant dem der Wirbeltiere, die sich von ihrer inneren Uhr – der circadian clock, sie schlägt ungefähr die Tageslänge – etwa in den Schlaf wiegen lassen, wir tun das bei Dunkelheit, andere sind nachtaktiv. In beiden Fällen wird, wenn es es finster ist, das „Hormon der Dunkelheit“ produziert, Melatonin. Es ist eines der ältesten Biomoleküle und wird von Bakterien entwickelt, zum Schutz vor Licht bzw. der mit ihm verbundenen Fotochemie, die in Zellen zur Bildung freier Radikale führt, hoch aggressiver Moleküle. Die müssen gefangen und entschärft werden, von Antioxidantien, Melatonin ist ein starkes, das war seine erste Rolle.


Detektor für Dunkelheit. Im Zuge der Evolution übernahm es viele andere – und behielt die alte immer bei –, es spielt bei allen Wirbeltieren im Immunsystem mit, bei manchen auch bei sexuellen Signalen. Und es ist bei allen Tieren ein Detektor für Dunkelheit. Für diese Rolle konnte es rekrutiert werden, weil es von Anfang an mit Sensoren für Licht gekoppelt war: Das Antioxidans musste ja produziert werden, wenn die Gefahr da war, oder es musste, besser noch, vorsorglich bereitliegen, deshalb produzieren wir es in der Nacht im Schlaf. Sofern es nur dunkel ist. Die zunehmende Erhellung der Nacht – light pollution – steht im Verdacht, durch Unterbindung der Melatoninproduktion Brustkrebs auszulösen, man vermutet es bei Krankenschwestern mit vielen Nachtdiensten. Und Chemotherapie wirkt bei diesem Krebs nicht, wenn auch nur der geringste Schimmer ins Schlafzimmer dringt (Cancer Research 74, S.4099).

Schläft Zooplankton auch? Das weiß man nicht, aber es folgt eben seinem ganz analogen Takt. Auch den schlägt Melatonin, Maria Antonietta Tosches (Embo, Heidelberg) hat es bemerkt, an Platynereis dumerilii, das ist ein Wurm, der als Larve zu den Vertikalwanderern gehört. Er bringt sich mit Cilien – Auswüchsen, die man in diesem Fall auch als Schwimmflossen betrachten kann – nach oben, und er gehört zu denen, die am Tag hinaufziehen, zum Licht. Kommt dann der Abend, kommt die Dunkelheit, kommt Melatonin, das sorgt über bestimmte Gehirnzellen dafür, dass die Cilien seltener schlagen, die Larven sinken in die Tiefe hinab (Cell 159, S.46).

Unterwegs begegnen sie dann jenen, die gerade hinaufwandern, Krill etwa gehört dazu. Und wenn man alle zusammenrechnet, haben sie eine gewaltige Macht, zumindest haben sie Energie, geschätzte 60 Terawatt, chemisch gespeichert. Würden nur wenige Prozent davon in mechanische Energie umgesetzt, käme Bewegung in die Meere, die der der Gezeiten vergleichbar wäre, oder der der Winde: Die Wasser würden ganz anders erbeben als die Savannen unter den Gnus.

Dies hat man schon lange berechnet, gemessen hat man es nicht – wie auch?–, und die Zwergenhaftigkeit der Wanderer könnte einen Strich durch die Rechnung machen: Sie sind zwar schnell – ein Ein-Zentimeter-Organismus schafft 200 Meter pro Stunde, auf Menschen umgerechnet wären das 36Kilometer, das Sechsfache des Weltrekords von Michael Phelps –, aber sie sind zu klein für größere Effekte, auch wenn man sie aufsummiert. Doch ihre Wirbel im Wasser werden nicht einfach aufsummiert, sie schaukeln sich auf, via Strömungsdynamik, John Dabirir (Caltech) hat es im Labor gezeigt, an Artemia salina, einem Shrimp (Physics of Fluids, 30.9.): „Wenn es in den Ozeanen auch so ist, dann können diese Organismen ihre Umwelt durch kollektives Schwimmen beeinflussen.“ W

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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