Insekten gestern und morgen

Evolution. Genstudien zeigen den Stammbaum von Insekten: Es gibt sie seit 480 Millionen Jahren. In Zukunft nimmt die Zahl der Insekten ab.

Je kälter die Jahreszeit, umso weniger Insekten begegnen uns im Alltag. Spätestens im Frühling ärgern sich Menschen wieder über Gelsen und Wespen. Die artenreichste Tiergruppe erscheint vielen lästig, doch Insekten spielen eine enorm wichtige Rolle für das Ökosystem: etwa für Bestäubung, Nahrung für Vögel und Säuger oder Verarbeitung von toten Pflanzen und Tieren. Ein internationales Team mit Beteiligung der Uni Wien und des Naturhistorischen Museums entschlüsselte nun in einem Großprojekt die Evolutionsgeschichte der Insekten. Die Ergebnisse des 1KITE-Projekts finden sich in der aktuellen Titelgeschichte des renommierten Fachmagazins Science.

Die DNA-Sequenzierung der Insektengene läuft am größten Forschungsinstitut Chinas. 144 von 1000 Insekten sind bereits analysiert, darin lesen die Forscher die Evolutionsgeschichte von Fliege, Ameise und Co. „Biologische Stammbäume sind das Rückgrat für elementare Forschungsfragen“, sagt Günther Pass, Zoologe der Uni Wien. Die genauen Bestimmungen der Zeitskala sind jetzt möglich, weil auch Fossilien sequenziert wurden. Demnach haben sich Insekten vor 480 Millionen Jahren aus Meeresbewohnern entwickelt und das Land erobert, zeitgleich erste Landpflanzen. Vor 380 Millionen Jahren lernten sie fliegen und waren 200 Millionen Jahre lang die alleinigen Herrscher der Lüfte. Die größte Insektenvielfalt gab es wohl in der Kreidezeit, zugleich mit der Evolution der Blütenpflanzen. Im Gegensatz zu den Dinosauriern überlebten die Insekten das Ende der Kreidezeit und bereichern bis heute das Ökosystem Erde.

Wie zukünftige Klimaszenarien die Artenvielfalt von Insekten und Spinnen verändern können, testen indes Zoologen der Boku Wien, gefördert vom Klima- und Energiefonds. Auf dem Gelände der Ages (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) in Wien-Donaustadt wurden überdachte, drei Quadratmeter große Flächen untersucht, auf denen Winterweizen – auf unterschiedlichen Bodentypen – wächst. Die Hälfte der Flächen wurde mit Niederschlag berieselt, der unserem heutigen Klima entspricht, die anderen mit dem Regenmuster, das laut Weltklimarat von 2071 bis 2100 herrschen wird: um 15 Prozent stärkere Regenfälle, um ein Viertel mehr Trockentage. Die Artenzahl der verschiedenen Spinnen, Zikaden, Käfer und Fliegen änderten sich nicht. Doch im künftigen Szenario reduzierte sich die Zahl der einzelnen Insekten um über die Hälfte. Die Forscher sagen, dass der Rückgang der Insektenzahlen weiter stark fortschreiten wird. (vers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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