Risikowissenschaft: Das Windrad als Eisschleuder?

(c) Clemens Fabry
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In einem Projekt der Boku Wien wird beobachtet, ob der Eisabfall an Windkraftanlagen im Winter eine Gefahr darstellt. Schwach frequentierte Wege sind eher gefährdet.

Der Wind weht kräftig aus Nordwest. Doch die Windräder stehen still, denn die Rotorblätter sind mit Eis bedeckt. Ein Sensor an der Windkraftanlage erkennt, dass durch das Eis die Leistung der Anlage mit der gegenwärtigen Windgeschwindigkeit nicht übereinstimmt und schaltet sich automatisch ab, um zu verhindern, dass sich Eisstücke lösen und wegkatapultiert werden.

Bei so einem Eiswurf sind Weiten von mehreren hundert Metern möglich. Der Stillstand wirkt sich aber limitierend auf die Energieerzeugung aus. Für die Anlagen selbst stellen Vereisungen kein Problem dar, weil sie sehr robust sind und etwa auch Wirbelstürmen standhalten müssen.

Der Großteil der Windkraftanlagen in Österreich befindet sich auf landwirtschaftlichen Flächen. Wird ein Windrad auf einer Nutzfläche aufgestellt, werden diejenigen entschädigt, auf dessen Land die Anlagen stehen, sowie jene, deren Land von den Rotorblättern überstrichen wird. Weil die landwirtschaftlichen Flächen in Österreich relativ klein sind, kann es vorkommen, dass sich ein nahegelegener Nachbar benachteiligt fühlt.

So klagte ein Anrainer, weil er sich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlte und meinte, dass er im Winter nicht mehr auf seinem Feld spazieren gehen könne, ohne Gefahr zu laufen, von herabfallenden Eisstücken getroffen zu werden. Ist diese Behauptung gerechtfertigt? Stellen die von den Windrädern herabfallenden Eisstücke eine Gefahr dar? Dieser Frage geht Markus Drapalik vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Boku nach – gefördert vom Klima- und Energiefonds.

Eisbeobachtungen mit Video

Der Eisabfall bei Windkraftanlagen wird nun an drei Standorte beobachtet: auf der Parndorfer Platte, an einem alpinen Standort und im Innviertel. „Wenn sich Eis an den Windkraftanlagen gebildet hat, ruft uns der zuständige Mühlenwart an, informiert uns über den Eisansatz und wann mit dem Abtauen der Windräder begonnen wird“, erklärt Drapalik.

Das Abtauen wird vom Mühlenwart durchgeführt und erfolgt mittels einer Eisabtauvorrichtung (siehe Lexikon). Die Forscher stellen zwei Kameras in einem bestimmten Winkel zu einer Anlage auf. Wenn alles in der richtigen Position ist, wird das Abtauen gestartet und die Flugbahn der herabfallenden Eisstücke gefilmt.

„Nach etwa einer Stunde, wenn wir sicher sind, dass die Rotorblättern frei von Eis sind, werden die Positionen der Eisstücke auf dem Boden dokumentiert und ausgewählte Eisstücke aufgesammelt, um später Größe, Profil, Geometrie und Dichte zu bestimmen“, sagt Drapalik. Mit genug Daten kann ein Modell entwickelt werden, das die Fallweisen des Eises in Abhängigkeit vom Wind berechnet. Mit den Ergebnisse kann der Radius ermittelt werden, in dem tatsächlich eine Gefahr durch Eisabfall besteht. Dies kann dann beim Aufstellen von Windkraftanlagen berücksichtigt werden.

Schilder und Leuchten warnen

In Österreich ist der Abstand, den ein Windrad von Wohnhäusern haben darf, zum Teil geregelt und im Europavergleich sehr streng. In Niederösterreich etwa muss der Abstand zu Wohnbauland 1200 Meter betragen. Der Abstand zu Straßen ist nicht gesetzlich festgelegt, aber von Autobahnen ist eine Entfernung der doppelten Anlagenhöhe gebräuchlich.

Somit sind schwach frequentierte Verkehrswege, Wanderwege, Langlaufloipen oder Feldwege eher durch herabfallende Eisstücke gefährdet. Diese Wege werden jedoch schon seit Längerem mit Warntafeln beschildert. Seit zwei Jahren werden sie zusätzlich mit Warnleuchten ausgestattet, die nur dann leuchten, wenn Gefahr besteht.

LEXIKON

Bei der Eisabtauvorrichtung wird an der Wurzel des Rotorblattes durch ein Gebläse Heißluft in das Blatt geblasen. Der Abtauvorgang muss beobachtet werden, damit niemand durch herabfallende Eisstücke verletzt wird. Um Vereisung zu vermeiden, werden neue Systeme für elektrische Heizungen an den Rotorblättern erforscht. Möglich wären neue Oberflächenbeschichtungen, die das Ansetzen von Eis an den Rotorblättern verhindern oder verzögern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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