Genetik: Der Urknall der Vögel

(c) AAAS/Carla Schaffer
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Die DNA von 45 Vogelarten wurde sequenziert: Jetzt weiß man mehr über die letzten Dinosaurier, über ihre Systematik, ihren Gesang und ihre Zahnlosigkeit.

Unser Bild der Dinosaurier ist in den vergangenen Jahren vogelähnlicher geworden: Wir können sie uns gefiedert und Eier ausbrütend vorstellen. Umgekehrt dürfen wir die Vögel mit einigem Recht als letzte lebende Dinosaurier ansehen: Sie stammen nicht nur – wie auch die Säugetiere – von Reptilien ab, sondern direkt von den Riesenechsen, die in der Trias-, Jura- und Kreidezeit die Erde regierten. Von den lebenden Reptilien stehen ihnen die Krokodile am nächsten, moderne Systematiker fassen heute Krokodile, Vögel, Dinosaurier und Flugsaurier in eine Gruppe: Archosauria.

Das ist der Grund, warum unter den 29 (!) Publikationen, die heute zeitgleich in Science, Genome Biology und anderen Zeitschriften erscheinen, auch eine über Krokodile ist: Deren Genome haben sich über die Jahrmillionen auffallend wenig verändert, ihre molekulare Uhr tickt deutlich langsamer als die der Säugetiere.

Die Gene der Vögel verändern sich zwar schneller als die der Krokodile, aber langsamer als die der Säugetiere. Deutlich schneller als der Rest entwickelten sich Gene, die sexueller Selektion ausgesetzt sind: solche für Federfärbung und Gesang. Und es gab eine rasche Phase in der Evolution dieser heute an die 10.000 Arten umfassenden Klasse der Wirbeltiere: In der ersten Zeit nach dem durch einen Meteoriteneinschlag ausgelösten Massensterben der (anderen) Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren, als die von diesen besetzten Lebensräume plötzlich frei waren.

Die bei Weitem größte Gruppe der Vögel, die Neoaves, entstand damals in einem „Big Bang“, einem Urknall, wie es die Forscher des Avian Genome Consortium nennen. Sie haben die DNA von 48 Vogelarten sequenziert. 43 davon sind Neoaves – vom Seeadler bis zur Schleiereule, vom Kuckuck bis zur Taube, vom Geier bis zum Zebrafinken –, drei zählen zu den Hühnervögeln, zwei, der Strauß und der Tinamu, zu den noch urtümlicheren Urkiefervögeln.

Flamingos und Tauben in einer Gruppe

Eben weil sie sich so schnell auseinanderentwickelten, ist die Systematik der Neoaves nicht leicht. Die Genomanalysen bringen für sie auch einige Überraschungen: So stehen die Flamingos den Tauben sehr nahe, näher als etwa den Pelikanen. Die Genetiker fassen sie mit Stelzenrallen und Flughühnern in eine Gruppe, die sie Columbea nennen und den Passerea gegenüberstellen. Diese teilen sie auf DNA-Basis in im Wasser lebende Aequornithia (Pelikane, Ibisse, Pinguine etc.) und an Land lebende Telluraves. Auch bei diesen kam Unerwartetes: So sind die Falken enger mit den Papageien und den Singvögeln verwandt als mit den Adlern und Geiern. Ihrer aller gemeinsamer Vorfahre soll jedenfalls ein Raubvogel gewesen sein, heute sind die südamerikanischen Seriemas die Urtümlichsten diese Gruppe, sie sind die nächsten lebenden Verwandten der drei Meter hohen „Terrorvögel“, die bis vor zwei Millionen Jahren in Südamerika ihr Unwesen trieben.

Zahnlos seit 116 Millionen Jahren

Räuber oder Körnerfresser, was alle Vögel auszeichnet, ist ihre Zahnlosigkeit. Die Gene, die normalerweise bei Wirbeltieren für die Zähne – vor allem für die Bildung von Dentin und Zahnschmelz – zuständig sind, sind bei ihnen durch Mutationen funktionslos geworden. Und zwar schon vor 116 Millionen Jahren: Der gemeinsame Vorfahre aller heutigen Vögel war offenbar schon zahnlos.

Eine andere Spezialität vieler Vögel, der Gesang, dagegen hat sich dreimal unabhängig entwickelt: bei Singvögeln, Kolibris und Papageien. Und ähnelt strukturell auffallend unsrer Sprache: „Wir wissen schon lang, dass der Gesang der Vögel der Sprache der Menschen ähnelt und dass auch die Verschaltung im Hirn ähnlich ist“, sagt Neurologe Erich Jarvis, „aber wir wussten bisher nicht, dass das daran liegt, dass auch die Gene die gleichen sind.“ Epigenetik, Regulierung von Genen, spielt da eine große Rolle. Wobei die Papageien eine zweite Regulationsebene haben, Jarvis spricht von einem „Liedsystem in einem Liedsystem“ und erklärt damit das frappierende Talent der Papageien, menschliche Sprache nachzuahmen.

In der Evolution der Vögel hat der Verlust von Genen eine große Rolle gespielt: „Manchmal ist weniger mehr“, sagt einer der Genetiker. Auch darum sind die Genome der Vögel deutlich kleiner als jene anderer Wirbeltiere. Und vor allem, weil sie weniger DNA enthalten, die von endogenen Viren kommt: Solche DNA macht fast zehn Prozent unseres Genoms aus. Offenbar sind Vögel weniger anfällig für solche Invasionen, oder sie tun sich leichter damit, die virale DNA wieder aus dem Genom zu entfernen.

Geschlechtschromosomen: ZW statt XY

Wie bei den Säugetieren haben sich bei den Vögeln Geschlechtschromosomen entwickelt. (Viele Reptilien haben ja keine, sondern lassen etwa die Temperatur über das Geschlecht der Nachkommen entscheiden.)Doch sie haben genau das umgekehrte System, man nennt es ZW statt XY. Während bei uns das Y-Chromosom männlich macht, macht bei den Vögeln das W-Chromosom weiblich. Nun wäre zu erwarten, dass das einzelne W wie das einzelne Y allmählich Gene verliert und immer kleiner und unbedeutender wird. Das wird es auch, aber nicht bei allen Arten, und jedenfalls langsamer als das Y bei Säugetieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2014)

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