Aus Büchern werden Bytes

(c) Reuters (Philippe Wojazer)
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Zwei von vier Unternehmen, die am Weltmarkt für die Digitalisierung von Büchern aktiv sind, kommen aus Österreich. Und beide sind Spin-off-Unternehmen von Wiener Universitäten.

Ich gestehe: Ich liebe Bücher. Bei mir zu Hause werden die Wände durch viele Laufmeter Bücher geziert, aneinandergereiht, immer öfter auch übereinandergestapelt. Bücher weiterzugeben kommt mir wie Kindesweglegung vor, und sie wegzuwerfen bringt ein Bibliophiler einfach nicht übers Herz. So wuchern die Papiermassen weiter – und bei aller Liebe zum gedruckten Wort: Irgendwann geht der Platz zur Neige. Wie bei mir gerade jetzt, in einer Zeit, in der man die Kunde vom E-Book laut vernimmt. Irgendwie klingt das wie ein Traum: alle Bücher, die man haben will, zu besitzen, aber nie mehr ein Platzproblem zu haben.

Wie kommen die Bücher aber in die kleinen feinen Geräte, die nun auf den Markt kommen? Abgetippt werden sie jedenfalls nicht. Vielmehr geschieht dies heute vollautomatisch. Am Weltmarkt gibt es vier Unternehmen, die die Ausrüstung zur Digitalisierung von Büchern produzieren – und zwei davon kommen aus Österreich: Qidenus Technologies und Treventus Mechatronics. Beide Firmen sind junge Unternehmen, beide wurden als Spin-offs von Wiener Universitäten gegründet. Die anderen Mitbewerber kommen aus der Schweiz und aus den USA.


Schonend für die Bücher. Grundsätzlich werden bei allen Verfahren die Bücher im schonenden 60-Grad-Winkel in eine v-förmige Vorlage gelegt. Die einzelnen Seiten werden fotografiert oder gescannt, es wird automatisch umgeblättert, die Bilder werden durch IT-Systeme in eine Form gebracht, die direkt weiterverarbeitet werden kann – als pdf, als Bild oder per OCR-Programm in Volltext verwandelt. Im Detail unterscheiden sich die Technologien der vier Anbieter allerdings.

Die Gründungsidee von Qidenus ist der „bionische Finger“. Er wurde für einen ganz anderen Zweck entwickelt: zum Umblättern von Musiknoten (heute unter dem Namen QiVinci ein weltweit erfolgreiches Produkt). Dieser Finger produziert im ersten Schritt eine Wölbung des Blattes, dann greift ein zweiter Arm in die Wölbung und blättert um. Druck, Winkel und Geschwindigkeit werden so gesteuert, dass die Berührung für das Papier möglichst schonend ist, das System ist lernfähig. „Es wird bei jedem Buch schlauer“, erläutert Firmengründerin Sophie Quidenus. Die eigentliche Digitalisierung geschieht durch zwei Digitalkameras.

Die Entwicklung vom bionischen Arm bis zum heutigen Buchscanner liest sich wie einem Lehrbuch entsprungen: Nachdem Quidenus zufällig den Erfinder des künstlichen Fingers kennengelernt hatte, gründete sie 2004 noch als Studentin an der WU Wien das Unternehmen. Schon bald konnte ein FFG-Projekt gewonnen werden, dann wurde Qidenus in das Inits-Programm (universitäres Gründerservice) aufgenommen, es folgten Förderungen durch die Austria Wirtschaftsservice (AWS) und die Wiener Technologieagentur ZIT. Im Vorjahr präsentierte Qidenus den Prototypen des vollautomatischen Buchscanners, nun geht er in die Serienproduktion. Er schafft theoretisch 2500 Seiten in der Stunde. In der Praxis (inklusive den Zeiten für den Wechsel des Buches oder die Fehlerbeseitigung) sind es 1250 Seiten.


Wettbewerb befruchtet. Von der Geschwindigkeit vergleichbar ist das Gerät, das Treventus seit dem Vorjahr auf dem Markt hat. Dieses Unternehmen startete – ebenfalls – im Jahr 2004, und zwar als Spin-off der TU Wien. Förderungen kamen praktisch aus denselben Quellen: von der FFG und der Stadt Wien, auch Treventus wurde in das Inits-Programm aufgenommen.

Technisch wurde allerdings ein anderer Weg eingeschlagen. Umblättern und Scannen erfolgen in einem Schritt, erläutert Stephan Tratter, Marketingchef von Treventus. In das v-förmig aufgeschlagene Buch wird ein prismenförmiger Scankopf eingeschoben, an dessen Oberfläche feine Kanäle sitzen, die einen Unterdruck erzeugen und beide Seiten ansaugen. Während das Prisma hochfährt, wird gescannt, ein feiner Luftstoß blättert um.

Der Wettstreit der beiden Wiener Unternehmen wird sehr sportlich ausgetragen. Quidenus sagt, dass ein gesunder Wettbewerb befruchtend sei. Tratter sagt: „Dass sich gleich zwei Unternehmen aus Wien am Weltmarkt matchen, ist schon cool.“ Beide Unternehmen meinen, dass ihr Verfahren überlegen ist: Quidenus macht darauf aufmerksam, dass der Finger schonender sei als das Ansaugen der Seiten, Treventus kontert, dass man bei ihrem System keinen Finger rühren müsse.

Die beiden Unternehmen werden sich jedenfalls nicht so schnell in die Quere kommen. Denn der Digitalisierungsmarkt wächst rasch: Derzeit liegen Schätzungen zufolge erst maximal 0,5 Prozent aller Bücher in digitaler Form vor. Für die nächsten zehn Jahre wird ein weltweiter Bedarf von 1000 Digitalisierungsgeräten prognostiziert. Die E-Books wollen ja mit „Content“ versorgt werden – um bei mir Platz für jene Bücher zu schaffen, die ich vielleicht trotzdem lieber gedruckt in Händen halten will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

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