Gläserner Mensch? Der gereckte Facebook-Daumen reicht!

(c) REUTERS (� Stoyan Nenov / Reuters)
  • Drucken

Durch schlichtes Auswerten von – wenigen – Facebook-„Likes“ können Computer Menschen besser einschätzen als Menschen selbst.

Kann man sich in seinen Computer bzw. dessen Programm verlieben? Der Film „Her“ malte es 2013 aus, ein vereinsamter User gerät in die Fänge eines Betriebssystems. Das – es stellt sich als Frau vor, „Samantha“ – weiß bald um seine feinsten Details, es muss nur die Augen bzw. Algorithmen darauf halten, was er alles am Computer tut. Bald kennt Samantha seine Sehnsüchte, besser als jeder andere Mensch, besser als er selbst, sie kann also auch besser darauf eingehen.

Na ja, das war halt ein Film. Aber etwa zur gleichen Zeit erhielt irgendwo in den USA eine junge Frau Post von einer Supermarktkette, in der sie regelmäßig einkauft. Darin wurden Sonderangebote für Schwangere beworben, Vitaminmischungen etc. Der Vater der Frau öffnete den Brief und stellte den Filialleiter zur Rede: Seine Tochter sei nicht schwanger. Der Filialleiter entschuldigte sich. Anderntags entschuldigte sich der Vater: Er habe nicht recht Bescheid gewusst über seine Tochter. Da kannte sich die Kundenkarte, die die Frau beim Einkauf vorgewiesen hatte, besser aus: In ihr war gespeichert, dass die Frau ihren Warenkorb leicht verändert hatte, vielleicht hatte sie statt einer parfümierten Seife eine neutrale erworben.

Das tun viele Frauen in der Schwangerschaft, und das geht ein in den „Pregnancy Index“, ein Programm des Supermarkts, das 28 Warengruppen erfasst. Nun ja, man braucht ja keine Kundenkarte, es wird halt teurer. Aber generell kommt man um das Legen von elektronischen Spuren nicht herum, ohne Suchmaschinen und E-Mails geht es kaum, und ohne soziale Netzwerke würden viele Menschen ins Bodenlose sinken.

Im Durchschnitt: 227 „Likes“ pro User

Aber man kann sich ja schützen, etwa auf Facebook. Dort kann man bestimmte Informationen nur einem bestimmten Kreis zugänglich machen. Aber eines sehen alle „Friends“, das „Like“ des gereckten Daumens, mit dem man zeigt, was einem gefällt. 1,3 Milliarden Facebook-User gibt es derzeit, im Durchschnitt hat jeder 227 „Likes“ hinterlassen.
Das ist mehr als genug: Schon aus 70 „Likes“ lässt sich ein Persönlichkeitsbild erstellen, das präziser ist als das, das Freunde voneinander haben. Ab 100 „Likes“ kann auch die Menschenkenntnis von Familienmitgliedern nicht mehr mithalten, nur noch die der Partner, und die muss sich ab 300 „Likes“ geschlagen geben.

All das hat Michal Kosinski (Stanford) erhoben, der vor zwei Jahren erstmals den Informationsgehalt von „Likes“ ausgewertet hat. Damals ist ihm etwa aufgefallen, dass gehobene Intelligenz verrät, wer den Daumen bei Mozart reckt, ein „Like“ für Harley-Davidson deutet eher auf das Gegenteil hin. Dabei sind manche Zusammenhänge klar – wer ein „Like“ bei Jesus setzt, ist Christ, wem Fotos einer Schwulenhochzeit gefallen, ist Homosexuellen gegenüber positiv eingestellt–, andere naheliegend – wer sich zu Leonardo da Vinci, Leonhard Cohen oder Oscar Wilde bekennt, ist liberal und offen –, wieder andere rätselhaft: Für hohe Intelligenz spricht etwa auch eine Vorliebe für „Curly Fries“, zu Locken gedrehten Pommes frites.

Insgesamt ließ sich aus den „Likes“ die Hautfarbe mit 95 Prozent Sicherheit ableiten, das Geschlecht mit 88, die politische Orientierung auch mit 88 (Pnas 110, S. 5802). Nun hat Kosinski sich den „Big Five“ zugewandt, das sind die zentralen Charakterzüge: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit, Neurotizismus, das meint emotionale Labilität. Das Daumenrecken wurde bei 70.520 Usern von Kosinkis Computerprogrammen ausgewertet. Ihnen fiel etwa auf, dass „Likes“ für Salvador Dalí und Meditation Offenheit bezeugen, und wer Tanzen mag, ist extrovertiert.

Szenario von „Her“ wird wahrscheinlich

Zum Vergleich wurden an Untergruppen die Charaktere mit Fragebögen erhoben, auch die Selbsteinschätzungen und die Urteile anderer: Schon 30 „Likes“ bieten so viel Information, dass das Bild des Computers präziser ausfällt als das von Arbeitskollegen, und ab 300 hält eben kein Mensch mehr mit (Pnas, 12. 1.). „Für die, die sich um ihre Privatheit Sorgen machen, ist eine Zukunft, in der wir durch unsere digitalen Fußspuren zu offenen Büchern werden, eine Dystopie“, schließt Kosinski: „Ein Szenario wie in ,Her‘ wird zunehmend wahrscheinlich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.