Weniger Gewalt als vermutet

Antike. Aktuelle Forschungen zeigen, wie einzelne Regionen in Ägypten in der Zeit von 1800 bis 1550 v. Chr. gesellschaftlich vernetzt waren.

„Wir Ägyptologen konzentrieren uns notgedrungen meistens auf Gräber. Denn davon gibt es viele, und man weiß, wo sie sind“, sagt Bettina Bader von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Start-Preisträgerin 2014. Siedlungen waren im alten Ägypten meist nahe des Flusses gebaut und wurden entweder selbst vom Wasser zerstört, oder ihre Reste gingen beim Bau moderner Städte verloren.

Antike Ägypter ließen sich bevorzugt im Westen des Landes in der höher gelegenen Wüste begraben. „Dort wartete das ,schöne Jenseits‘ auf sie, und dort kamen keine Überschwemmungen hin. Daher gibt es große, gut erforschte Gräberfelder“, sagt Bader.

Sie möchte aus Funden solcher Gräber – teils aus bereits archiviertem Material in Museen weltweit, teils an neuem Material aus den internationalen Grabungen, an denen sie beteiligt ist – die Geschichte der ägyptischen Regionalität nachzeichnen.

Es war wohl keine Verfallsperiode

Die ägyptische Geschichte wird in reguläre Zeiten und in Zwischenzeiten eingeteilt. Die regulären Zeiten sind geprägt von der starken Führung eines Pharaos, es gibt das Alte Reich (Beginn um 3000 v. Chr.), das Mittlere Reich (um 2000 v. Chr.) und das Neue Reich (um 1500 v. Chr.). Bader konzentriert sich aber auf eine Zwischenzeit von zirka 1800 bis 1550 v. Chr.

Altägyptische Texte und griechische Überlieferungen sprechen über diese zweite Zwischenzeit vor dem Neuen Reich als Verfallsperiode, geprägt vom Einfall der Hyksos aus dem Norden und der Zerstörung vieler Tempel.

„Die archäologischen Befunde deuten auf weniger gewaltsame Übernahmen hin“, sagt Bader. Sie möchte anhand der Keramik und anderer Gegenstände aus den Gräbern dieser Zeit herausfinden, wie die einzelnen Regionen in Ägypten untereinander vernetzt waren: Wo gab es Handelsbeziehungen? Wie verbreiteten sich Kultur- und Herstellungstechniken über das Land?

„Ich möchte die Befunde nicht von vornherein politisch interpretieren, sondern sozial betrachten“, sagt die Ägyptologin. Die lokalen Chronologien vieler Grabungsstätten sind bis heute noch sehr lückenhaft. Durch die genaue Analyse der zeitlichen Abfolge gesellschaftlicher Veränderungen, die sie aus Gräbern der unterschiedlichen Regionen Ägyptens herauslesen will, hofft Bader, die Vernetzung der Regionen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede konkret erkennen zu können. (vers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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