Pflanzen auf der Pirsch

POLAND ZOO EXHIBITION CARNIVOROUS PLANTS
POLAND ZOO EXHIBITION CARNIVOROUS PLANTSEPA
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Nicht alles, was aus der Erde sprießt, lässt sich von Tieren fressen. Fleischfressende Flora hält es umgekehrt, sie jagt, und das mit großen Finessen.

Pflanzen sind auch nicht blöd, vor allem die nicht, die die Ordnung der Schöpfung durchbrechen: „Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels (...) gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. So geschah es.“ So steht es geschrieben (Genesis 1, 90), Pflanzen sind zum Gefressenwerden da. Aber so geschah es eben nicht, zumindest nicht durchgängig, manche Pflanzen drehten den Spieß um und machten sich über Tiere her, man kann nur staunen, wie viele es sind – 583 Arten – und was sie sich haben einfallen lassen: Fallen in allen Varianten. Die einen arbeiten mit Leim, andere schnappen zu, dritte saugen blitzschnell ein.

Vierte ziehen der Beute den Boden unter den Füßen weg bzw. sind so schlüpfrig, dass keinen Halt mehr findet, wer sich von einem Kelch mit köstlichem Duft – Nektar! – hat anlocken lassen. Aber in diesen Kannenpflanzen geht es nur unaufhaltsam hinab in eine Flüssigkeit, die erst ertränkt und dann verdaut, mit Enzymen der Pflanze oder mit denen von Gehilfen, Bakterien.

Eine dieser Jägerinnen hat sich noch etwas einfallen lassen: Schlüpfrig sind die Kelche, weil sie feucht sind bzw. gehalten werden. Aber Nepenthes rafflesiana lässt ihre Rutschbahn periodisch austrocknen, nun geht es gefahrlos zum Nektar und zurück. Dann feuchtet sie sich wieder ein und macht so fette Fänge, dass sich das Ganze in Summe lohnt, Ulrike Bauer (Bristol) hat es gezeigt. Die Pflanze ist vor allem hinter Ameisen her, deren Scouts legen Duftspuren, andere folgen ihnen und verstärken sie, es ist ein Mirakel für sich, ein ausgelagertes Gedächtnis, ein Zeugnis der Ameisenintelligenz. Aber mit der hält die der Pflanze locker mit: Wäre sie immer feucht, würden die Scouts hineinstürzen und keine Zusatzbeute anlocken (Proc. Roy. Soc. B. 13.1.).

Ist das nun Intelligenz oder ist schon die Frage nur wildes Anthropomorphisieren? Was hinter dem Verhalten des Sonnentaus am Werk sei, möchte er durchaus „dem Gehirn eines der niederen Tiere“ gleichsetzen, schrieb Darwin, der Pionier bei den fleischfressenden Pflanzen. Dass es die überhaupt gibt, stellte noch Linné heftig in Abrede – er war gläubiger Christ und kannte die eingangs zitierte Bibelstelle gut –, später fanden sich offenere Augen, aber Schwung und System ins Erkunden brachte erst Darwin, er ist der Vater der experimentellen Botanik, fütterte Sonnentau mit allem, was er in der Küche und im Labor finden konnte, mit Fleisch etwa und mit Ammoniak.


Temporärer Magen. Beim Ammoniak sah er, dass die Pflanze auf geringste Konzentrationen reagierte – sie fing die Beute und umschlang sie mit mehreren Tentakeln, wurde zu einem temporären Magen –, angebotene Blätter hingegen blieben unbeachtet. Mit denen kann der Sonnentau nichts anfangen, er braucht konzentrierte Nährstoffe, um Habitate zu erschließen, in denen sonst kaum Pflanzen gedeihen, Moore etwa. Deshalb hat er feine Sinne, und eine kurze Leitung hat er auch, keine lange: Zwar reagiert er nicht so rasch wie die Venusfliegenfalle, die klappt in einer Zehntelsekunde zu, aber bei ihr ist das einfach, sie funktioniert wie eine gespannte Mausefalle.

Die Tentakel des Sonnentaus hingegen müssen aktiv zum Ziel geneigt werden, dazu müssen sie erst einmal wissen, wo das Ziel ist. Das wird von einem Tentakelkopf gemeldet, dann werden die anderen an den Füßen bewegt, irgendwie müssen die Informationen fließen, hin und her, das regte Darwin zum Vergleich mit den Nerven bzw. dem Gehirn der Tiere an – und der strapazierte Nerven und Gehirn seiner Frau: „Er behandelt den Sonnentau wie eine lebende Kreatur, und ich vermute, dass er am Ende beweisen will, dass es sich um ein Tier handelt.“

Das wollen andere heute auch beweisen, seit Jahren eskaliert ein Streit darüber, ob Pflanzen denken können. Nun mag man es nennen, wie man will, sie können es seit mindestens 35 bis 47 Millionen Jahren. Da lebte das älteste unstrittige Fossil, es fand sich in einem Bernstein aus dem Baltikum (Pnas, 112, S. 190). Das ist etwas rätselhaft, weil das Harz in dichten Koniferenwäldern tropfte, fleischfressende Pflanzen aber freies Sonnenlicht brauchen, der Fotosynthese wegen, ihre Oberfläche besteht weithin aus Fallen, die betreiben keine. Wie auch immer, die Pflanze war eine Wanzenpflanze, und die heißt so, weil sie zwar auch mit Leim fängt, aber alles Weitere von Wanzen erledigen lässt. Die kleben selbst nicht fest, sie fressen die Beute, verdauen sie – und versorgen die Pflanze mit ihrem Kot.

Aber was darin ist interessant für Pflanzen, hinter was sind sie her? Lang konzentrierte man sich auf Stickstoff, nicht jeder hatte Darwins Fantasie, alles Erdenkliche zu probieren. Und nicht jeder will fleischfressende Pflanzen füttern, beruflich gar, im Labor! Wie sollte man das auch tun? Eine Gruppe um Irene Lichtscheidl und Wolfgang Adlassnig (Pflanzenphysiologie, Uni Wien) hatte eine Idee – und rief Kollegen vom Atominstitut der TU zu Hilfe: Die stellten Radioisotopen zur Verfügung, die machen nachverfolgbar, was die Pflanzen aufnehmen. Getestet wurden – an einer Kannenpflanze – Kalium, Mangan und Eisen, Kalium weckte Heißhunger, Eisen wurde verschmäht, vermutlich deshalb, weil davon viel in den Torfböden ist, auf denen die Pflanze lebt (Radioan. Nucl. Chem. 274, S.403).

Nicht alle sind so wählerisch, nicht alle können sich das leisten, manche karnivore Pflanzen werden in der Not gar halbe Vegetarier, das hat wieder Adlassning gezeigt (Annals of Botany, 18.12.) an Utricularia, dem Wasserschlauch. Der heißt nicht nur so, er lebt auch im Wasser und holt mit raschem, hohem Unterdruck in blasenförmige Fangsäcke ein, was vorbeikommt, nicht nur Getier, auch Algen, Pollen, Moos etc. Moos ist Beifang, mehr als nutzlos, es bremst das Wachstum der Pflanze; Algen und Pollen hingegen – zusammen über 80 Prozent des Fangs –, lassen Wasserschläuche gut gedeihen, sie bringen Größe; und das Fleisch, das es fast nur am Sonntag gibt – ganze 9,2 Prozent –, stärkt für den Winter. Karnivoren? Omnivoren, Pflanzen, die auch Pflanzen fressen!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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