Sicherheitsforschung: Katastrophenhilfe aus der Vogelperspektive

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Ein neues System versorgt Einsatzkräfte bei Katastrophen mit Luftbildern. Fast in Echtzeit liefern Kameras auf Flugzeugen Fotos und Infrarotbilder. Das kann bei Hochwasser wichtige Entscheidungen beschleunigen.

Wenn der Hut brennt, muss es schnell gehen. Die Redewendung hat einen ernsten Hintergrund: Bei realen Katastrophen entscheidet schnelles, präzises Krisenmanagement über Schäden in Millionenhöhe und manchmal sogar über Menschenleben. Es sind Krisenstäbe der Feuerwehr oder je nach Größe des Unglücks auch des Bundesheeres, die sich ein Bild von der Lage machen und dann Gegenmaßnahmen einleiten. Doch die Frage „Was ist überhaupt passiert?“ lässt sich oft nicht so einfach beantworten. Darum haben Forscher vom Joanneum Research ein System namens Argus (Airborne Realtime Ground Unit Support) entwickelt, das innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit ist und aktuelle Luftbilder aus einem Umkreis von bis zu 70 Kilometern liefern kann. Das Projekt dazu heißt Airwatch.

Wie schicken Flugzeuge Fotos?

„Bisher hatten Luftbilder vor allem eine Bedeutung bei der Analyse von Katastrophen im Nachhinein“, sagt Projektleiter Alexander Almer vom Joanneum Research. „Natürlich wären solche Bilder auch für die Einsatzplanung hilfreich gewesen, doch bisher war es nicht möglich, sie rechtzeitig an Entscheidungsgruppen zu liefern.“

Es gab verschiedene Probleme: Wo Flugzeuge herbekommen, die mit passenden Kameras ausgestattet sind? Wie den Piloten die aufzunehmenden Gebiete kommunizieren? Wie die Einzelbilder zur Einsatzzentrale bekommen, sie nachbearbeiten? Infrarotbilder wären bei vielen Katastrophen auch wünschenswert, etwa um Brandherde zu erkennen.

Das neue System hat auf jede dieser Fragen eine Antwort parat: „Unser Kamerasystem hat eine kurze Einrüstzeit und kann innerhalb von weniger als einer halben Stunde auf verschiedenen gängigen Flugzeugtypen installiert werden“, so Almer. So etwa der beim Bundesheer verwendeten Pilatus Porter PC6, einer Maschine von Diamond Aircraft, oder der bekannten Cessna. „Damit können 100 bis 250 Quadratkilometer pro Stunde in einer Auflösung von acht bis 15 Zentimetern pro Pixel aufgenommen werden. Maximal eine Minute später sind die Bilder in der Einsatzzentrale auf dem Bildschirm.“

Eigene Frequenz für Notfälle

Um derart aktuelle Aufnahmen liefern zu können, wurde ein eigenes Kommunikationssystem entwickelt. Über eine für Notfälle reservierte Frequenz schickt es die Daten vom Flugzeug direkt an eine Empfangsstation auf dem Boden. Dort folgt man mit einer Richtantenne dem Flugzeug. Einzige Einschränkung: Sichtkontakt mit dem Flugzeug muss gegeben sein. „Hier geht es um die Kosten. Es gibt satellitengestützte Systeme, aber die sind empfindlich teurer“, so Almer. „Unser System kostet etwa 450.000 Euro, das ist sehr günstig im internationalen Vergleich.“

Das System erlaubt es umgekehrt auch, Daten ins Flugzeug zu schicken: Dort sitzt neben dem Piloten ein Operator, der über ein Tablet mit der Einsatzzentrale verbunden ist. So lässt sich die Flugroute innerhalb kürzester Zeit abstimmen.

Ein wichtiger Teil des Projekts war die Aufbereitung der Daten: Die Luftbilder werden noch im Flugzeug vorverarbeitet, bevor sie gesendet werden. Von der Empfangsstation auf dem Boden kommen sie auf zwei Rechner in der Einsatzzentrale, wo sie anhand von GPS-Daten präzise über Karten des Gebiets gelegt werden. Ein Computer ist für die Datenverarbeitung zuständig, einer für die Visualisierung. Zur Aufbereitung der Daten gehört unter anderem die Berechnung des Höhenprofils.

Unterspülte Dämme finden

Im Flugzeug ist neben einer optischen Kamera mit 29 Megapixeln Auflösung auch eine Infrarotkamera mit 0,3 Megapixeln sowie eine für nahes Infrarot mit fünf Megapixeln installiert. Letztere nehmen weniger detaillierte Wärmebilder auf, die ebenfalls über die Karte gelegt werden können.

Das ist nicht nur für Brände interessant: Bei Hochwasserkatastrophen wie jener 2013 in Niederösterreich, bei der das System erstmals im Einsatz war, kann über Temperaturveränderungen in Dämmen festgestellt werden, ob sie unterspült sind. Solche Informationen müssen natürlich an Ort und Stelle verifiziert werden, aber das passiert ohnehin: Eigene Teams auf dem Boden kontrollieren die Dämme. Sie können mithilfe der Argus-Daten brenzlige Situationen schneller erkennen.

Airwatch ist ein Projekt des Sicherheitsforschungsprogramms Kiras des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie sowie der Forschungsförderungsgesellschaft, FFG. Es ist zugleich Teil eines größeren Kiras-Projekts, das kritische Infrastrukturen periodisch überwachen soll.

Ausgangspunkt ist die Problematik, dass für das Funktionieren der Volkswirtschaft wichtige Einrichtungen wie Verkehrsknotenpunkte oder Kraftwerke räumlich eingegrenzt und mit herkömmlichen Methoden gut zu überwachen sind. Aber die dazugehörige Infrastruktur, etwa Stromleitungen, ist dafür oft zu groß.

Überwachung aus der Luft

Die Konsequenz: Die Überwachung muss mittels Kameras aus der Luft erfolgen. Die Projektleitung hatte der Flugzeugbauer Diamond Aircraft inne, auch ein Partner von Airwatch. Neben dem Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport sind auch die TU Graz und die Uni Graz an Bord. Es überrascht nicht, dass Argus für das Bundesheer von großem Interesse ist. „Das Bundesheer war ein wichtiger Partner“, sagt Almer. „Es ist verpflichtet, auf Ansuchen zur Katastrophenhilfe zu reagieren.“ Solche Assistenzeinsätze können, je nach Aufwand, direkt vom Innenministerium oder der Bundesregierung angefordert werden (siehe Lexikon).

Argus wurde deshalb auch bei Bundesheerübungen wie der Katastrophenübung im Mai 2014 in Hartberg getestet. In Zusammenarbeit mit Polizei, Rettung und der Freiwilligen Feuerwehr probte man das Szenario einer großen Flutkatastrophe. Joanneum Research war ebenfalls dabei und sammelte wichtige Praxiserfahrung.

Lexikon

Assistenzeinsätze bezeichnen allgemeine Hilfsleistungen des Bundesheers für Bund, Länder oder Gemeinden. Sie können bis zu einer Stärke von 100 Soldaten vom Innenministerium beantragt werden, wenn der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen oder die Ordnung und Sicherheit im Allgemeinen nicht mehr gewährleistet werden können. Größere Assistenzeinsätze können von der Bundesregierung angefordert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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