Lawinen: Wenn weiße Pracht zur tödlichen Gefahr wird

TIROL:  LAWINENABGANG
TIROL: LAWINENABGANG(c) APA/ZEITUNGSFOTO.AT (ZEITUNGSFOTO.AT)
  • Drucken

Wissenschaftler arbeiten an einem Werkzeug, das eine umfassendere Lawinenprognose erlaubt als bisher. Dazu verbinden sie Schnee- und Wetterdaten mit Angaben zum Gelände. Auch die Kommunikation wird untersucht.

Die Lawinensaison beginnt mit dem ersten Schnee. Neuschnee kann Lawinen genauso auslösen wie Schneeschmelze. Stürzen die Schneemassen ins Tal, gefährden sie dort oft Menschen und Infrastruktur. Um Häuser zeitgerecht räumen oder Straßen und Skipisten sperren zu können, sind gute Prognosen entscheidend. Im Projekt „Alarm“ wollen Wissenschaftler bisherige Frühwarnsysteme verbinden. So wollen sie ein neues Werkzeug für die Arbeit der Lawinenschutzverantwortlichen vor Ort schaffen.

Eine wichtige Basis dafür bildet das neue Schneedeckenmodell Snowgrid: Das engmaschige Netz aus 28 Millionen Punkten liefert Angaben zu Schneehöhe, Schneewasserwert und mittlerer Schneetemperatur. „Damit stehen erstmals flächendeckende Schneedaten für ganz Österreich zur Verfügung“, sagt „Alarm“-Projektleiter Arno Studeregger von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, kurz ZAMG. Denn beim 1851 gegründeten, ältesten Wetterdienst der Welt forscht man auch – und zwar in den Bereichen Wetter, Klima, Umwelt und Geophysik.

Vom Wind verweht

Die Schneedaten liefern auch die Basis, um die Schneeverfrachtung zu berechnen: Wenn der Wind den Schnee verträgt, ändert das die Schneemenge auf dem Hang. Er sammelt sich etwa in Mulden, die Lawinengefahr steigt. Berechnungen der Einrichtungen für Wildbach- und Lawinenverbauung, die die Geländeoberfläche berücksichtigen, fließen daher mit ein. So lässt sich besser abschätzen, wie weit und mit welchen Schneemengen Lawinen ins Tal vordringen können.

Erstmals getestet wird im Projekt auch, wie sich mit Radartechnik von unten Informationen über die Schneedecke gewinnen lassen. Dazu arbeiten die Forscher eng mit Kollegen der FH Joanneum zusammen. Das Messinstrument ist derzeit bereits auf der steirischen Planneralm im Einsatz (siehe Beitrag unten). Die Planneralm ist neben der Tiroler Nordkette und dem Kärntner Dobratsch eines der drei Testgebiete des vom Wissenschaftsministerium finanzierten Projekts.

„Wir haben bewusst unterschiedliche Regionen gewählt, um verschiedene Situationen untersuchen zu können“, sagt Studereggers Mitarbeiterin Lisa Jöbstl. In den schneereichen Regionen bestimmen derzeit Lawinenexperten vor Ort, wann und wie lang ein Skigebiet gesperrt wird. Oder auch die einzige Zufahrtsstraße, die eine „Nabelschnur“ für die Versorgung und alleinige Anreisestrecke für Touristen ist.

Schwierige Gratwanderung

Mitunter befinden sich Verantwortliche dabei auf einer schwierigen Gratwanderung zwischen Sicherheit und ökonomischen Interessen: Eine Strecke soll weder zu früh noch zu spät wieder freigegeben werden. Durch die Kombination der Prognosemodelle zu einem umfassenden Frühwarnsystem wollen die Wissenschaftler die verantwortungsvolle Entscheidung erleichtern.

Aber nicht nur das: Auch die Kommunikation vor, während und nach dem Ernstfall wird untersucht. Dazu arbeiten auch Soziologen am Projekt mit. „Vor allem bei Katastrophen zählen nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch, wie die Menschen zusammenarbeiten und kommunizieren“, sagt Renate Renner von der Universität Graz.

Denn dann sind viele Personen involviert, oft liegen die Nerven auch blank. „In kurzer Zeit müssen weitreichende Entscheidungen getroffen werden“, so Renner. Liftbetreiber, Meteorologen, Geografen und auch lokale Politiker seien eingebunden und müssen eine gemeinsame Sprache finden. Verantwortlichkeiten und Abläufe in der Kommunikation sollen dazu in einem Plan für das Risikomanagement genau festgelegt sein.

Unstimmigkeiten verhindern

Formelle Regelungen reichen aber nicht aus, sagt Renner. Damit der Mensch in der Krise nicht selbst zum Risiko wird, müsse auch das Klima zwischen den Akteuren passen. Die Soziologin nutzt dazu die Methode der qualitativen Netzwerkanalyse: Sie befragt Verantwortliche verschiedener, bei Lawinen eingebundener Stellen dazu, mit wem sie wie im Dialog stehen. So lassen sich Unstimmigkeiten im Kommunikationsnetz der Experten aufspüren.

„Alarm“ läuft noch bis Ende 2016. Dann sollen die Erkenntnisse für die Praxis zur Verfügung stehen. Was sind weitere Ziele für die Forschung? „Lawinenprognosemodelle lassen sich wohl immer noch weiter verbessern“, sagt Physikerin Lisa Jöbstl von der ZAMG. Der Bedarf ist jedenfalls da. 24 Menschen sind in diesem Winter in Österreich bereits bei Lawinenunglücken gestorben.

LEXIKON

Schnee besteht aus feinen Eiskristallen. Neuschnee ist fein verzweigt mit spitzen Zacken. Mit der Zeit verwandelt er sich – abhängig von Temperaturschwankungen, Wind oder dem Druck der Schneedecke. So entstehen Schneeschichten mit unterschiedlichen Eigenschaften. Liegt etwa körnig-weicher Schnee auf harten Eislamellen, kann sich eine Lawine lösen. Auch Schneeschmelze erhöht die Lawinengefahr.

In der Forschung werden verschiedene Systeme eingesetzt, um die Schneeschichten zu analysieren: neben Messinstrumenten wie Radar auch seismische, akustische und optische Sensoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

TIROL: TOURENGEHER BEI LAWINENABGANG GET�TET
Wissenschaft

Ein „Schneebrett“ für die Wissenschaft

Wie hoch ist die Schneeschicht, und wie setzt sie sich zusammen? Zum ersten Mal nutzen Forscher in einem steirischen Lawinenhang Radar, um das unterhalb der Schneedecke zu messen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.