Gentechnik: Mensch nach Maß, Runde zwei

NATIONAL GEOGRAPHIC
NATIONAL GEOGRAPHIC (c) EPA
  • Drucken

Mit „Genome Editing“ kann man Gene punktgenau manipulieren, manche Forscher wollen damit in Ei- und Spermazellen eingreifen. Andere protestieren lautstark.

Man stelle sich folgendes Experiment vor: Biomediziner erhalten von einer Klinik Eierstöcke einer Frau, die wegen eines Defekts am Gen BRCA1 an Krebs erkrankt ist. Den Eierstöcken entnimmt man Eizellen, und in deren Genomen entfernt man mit avanciertester Gentechnik den Defekt. Dann könnte man die Eizellen, zur Entwicklung gebracht, im Labor befruchten, und am Ende hätte man Kinder, die das Krebsrisiko nicht in sich tragen.

Gibt es das Experiment bereits? Ob es schon läuft, weiß man nicht, Luhan Yang, Mitarbeiterin von Georg Church (Harvard Medical School), hat es zumindest vor und das auch öffentlich gemacht – ihr Chef will sich bis zu einer Publikation nicht äußern. Dafür tun es andere: „Die ethischen Implikationen dieser Forschung und die der Sicherheit wecken tiefe Besorgnis. Die Anwendung dieser Technik auf menschliche Embryos könnte unvorhersagbare Auswirkungen auf kommende Generationen haben. Das macht sie gefährlich und ethisch inakzeptabel.“

Gen-Feinstmechanik

Das steht nicht irgendwo, sondern in „Nature“ (519, S.410). Und das schreiben keine Fundamentalisten, sondern Forscher, die die Gentechnik anwenden und vorantreiben, unter ihnen Fyodor Urnov. Er hat miterfunden, was er nun einbremsen will: Genome Editing. Das ist Gen-Feinstmechanik: Man schneidet mit molekularen Messern ein Genom irgendwo punktgenau auf und verändert es an dieser Stelle nach Belieben, Church hat auf diesem Weg schon Kolibakterien hergestellt, die es in der Natur nicht gibt. Die ersten Scheren waren Enzyme – Zinkfingernukleasen –, bei ihnen war Urnov dabei. Inzwischen hat die Technik noch präzisere und einfacher anwendbare Werkzeuge, auch Enzyme, sie heißen CRISPR-Cas9.

Der Plan, sie in der Reproduktionsmedizin anzuwenden, weckt ein Déjà-vu: Als vor 40 Jahren die Gentechnik entwickelt wurde – bei ihr werden ganze Gene verschoben –, waren die Bedenken unter den Forschern so groß, dass sie sich in der Konferenz von Asimolar eine Nachdenkpause verordneten. Danach entschieden sie sich für ein Tabu: Den Menschen nach Maß solle es nicht geben, technisch gesprochen: In die Keimbahn, Eizellen und Sperma, dürfe nicht eingegriffen werden. In andere Zellen schon: In ihnen wollte man Schäden reparieren (somatische Gentherapie), aber eben nur bei der betroffenen Person. Bei Keimbahntherapien wäre das anders, ihre veränderten Gene wären erblich. Deshalb kam das Tabu, es hielt, auch, als die somatische Therapie trotz tausender Versuche kaum Erfolg hatte und manche nach der Keimbahntherapie riefen.

Nun ist alles wieder da: Auch Genome Editing will somatisch reparieren, etwa kranke Blutzellen bei Sichelzellenanämie, Urnov selbst arbeitet bei einer einschlägigen Firma. Auch das motiviert seinen Protest: „Wir sind darüber besorgt, dass ein öffentlicher Aufschrei über einen derartigen Bruch der Ethik ein vielversprechendes Feld der therapeutischen Entwicklung aufhalten könnte.“

Folgen zeigen sich erst nach Geburt

Es geht aber auch darum, dass niemand recht weiß, wie präzise CRISPR-Cas9 wirklich ist, ob es nicht auch anderswo als an den erwünschten Stellen ins Genom schneidet: „Die präzisen Folgen genetischer Veränderungen an Embryos kann man vermutlich erst nach der Geburt erkennen“, mahnt Urnov. Und natürlich gibt es auch das umgekehrte Problem, dass alles zu gut funktioniert und Lockungen weckt: Man könnte ja nicht nur Krankheiten therapieren, man könnte auch die Haar- und Augenfarbe des kommenden Kindes ins Genom schneiden, irgendwann auch gehobene Intelligenz etc.

Church, in dessen Labor alles läuft, ist ein Star der Zunft, er hat viel Fantasie, hat nicht nur mit Genome Editing sein Kunstkolibakterium gebaut, sondern kokettiert auch mit dem Klonen von Mammuts und nennt generell sein Labor „Zentrum einer neuen technologischen Schöpfung“. Aber selbst wenn er sich zurückhielte: Genome Editing ist eine einfache Technik, und sie verspricht in der Reproduktionsmedizin viel Geld; deshalb arbeitet auch schon eine Firma daran: OvaScience. Das weiß man immerhin. Nichts weiß man hingegen aus China – nur, dass die Technik dort raschest vorangetrieben wird.

SOMA UND KEIMBAHN

Somatische Gentherapien wollen kranke Gene durch gesunde ersetzen, in Blutzellen etwa. Das ist bisher trotz tausender Versuche kaum gelungen.

Keimbahntherapien wollen kranke Gene in Eizellen und/oder Sperma ersetzen, diese Änderungen wären erblich, sie würden zudem den Menschen nach Maß ermöglichen, sie sind bisher tabu.

Genome Editing ist gentechnische Feinstmechanik. Dabei werden nicht ganze Gene verschoben und ausgetauscht, sondern Gene aufgeschnitten und an Ort und Stelle verändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.