Leise und informativ: Die Rufe der Gibbons

WEISSHAND-GIBBON-NACHWUCHS IN TIERGARTEN SCHOENBRUNN
WEISSHAND-GIBBON-NACHWUCHS IN TIERGARTEN SCHOENBRUNN(c) APA (JUTTA KIRCHNER)
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Die durch den Dschungel schwingenden Menschenaffen teilen einander einiges mit.

Sie schwingen sich elegant von Baum zu Baum, sie strecken beim Gehen die langen Arme in die Luft, und wenn sie – in strenger Monogamie – paarweise sitzen, umarmen sie einander gern. Doch Gibbons faszinieren auch akustisch: mit klanglich an Sirenen und/oder enthemmte Freejazz-Saxofonisten erinnernden Liedern, bei denen Männchen und Weibchen abwechselnd singen und damit u. a. ihre Partnerschaft zeigen. Diese Gesänge hört man kilometerweit.

Dass Gibbons auch über ruhigere Lautäußerungen verfügen, wird seit ca. 60 Jahren von Menschen erforscht, die von Hoo-Rufen sprechen. Sie erinnern an bedeutungsvolles Flüstern und Wispern von Menschen und sind so leise, dass es lange als unmöglich galt, sie aufzunehmen bzw. die Aufnahmen sinnvoll zu analysieren. Esther Clarke von der britischen Durham University hat nun 117 Tage in den Wäldern von Nordost-Thailand eine Gruppe von Weißhandgibbons verfolgt und ungefähr 600 Stunden lang beobachtet und aufgenommen. Daraus hat sie 462 Hoo-Laute extrahiert und analysiert („BMC Evolutionary Biology“, 8. 4.).

Die Hoo-Rufe dienen ganz unterschiedlichen Zwecken: Sie leiten Lieder ein, sie begleiten die Begegnung mit Artgenossen, sie machen auf Nahrung aufmerksam, sie warnen vor Räubern – und zwar abhängig von deren Art. Die Rufe, mit denen Gibbons ihre Kollegen vor Raubvögeln warnen, sind besonders leise, wohl weil diese so gut hören. Die Laute, mit denen Gibbons einander auf Leoparden und Tiger aufmerksam machen, sind allerdings nicht voneinander zu unterscheiden, beide fallen für sie offenbar zoologisch korrekt in dieselbe Kategorie: Raubkatzen. Ganz untypisch für Säugetiere ist es, dass die Rufe der Weibchen tiefer sind als die der Männchen, das könnte am Testosteron liegen: Männchen mit höheren Levels dieses Sexualhormons singen höher. Ein weiterer Geschlechterunterschied: Männchen reagieren bei Begegnungen mit Artgenossen mehr mit Hoo-Rufen, Weibchen bleiben eher still und ziehen sich zurück.
Kann man sagen, dass solche Rufe wie menschliche Wörter Bedeutung tragen? Etliche Zoologen bestehen darauf, dass sie die Hörer nur beeinflussen, nicht informieren. „Es mag sein, dass sie nicht dazu designed sind, zu informieren“, schreibt Clarke, „aber es ist schwer zu argumentieren, dass sie es nicht tun.“ So glaubt sie, dass die Analyse der Gibbon-Rufe dazu beitragen kann, die Ursprünge menschlicher Sprache besser zu verstehen. Dass Gibbons in ihren Lautäußerungen variabler sind als andere Menschenaffen, liege daran, dass sie ihren Vokaltrakt besonders gut steuern können. Das haben sie mit den Menschen gemeinsam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2015)

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