Es gibt Länder des Lächelns, es sind die multiethnischen

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Viele Emotionen, Furcht und Ekel etwa, schreiben sich erdweit und in allen Kulturen auf gleiche Weise in die Gesichter ein. Beim Lächeln ist das anders: Es fällt regional ganz verschieden aus, je nachdem, wie bunt Gesellschaften über die vergangenen 500 Jahre geworden sind.

Dass die Einheimischen in Österreich, vor allem die in Wien, so wenig lächeln, mag viele Besucher wundern, vor allem die aus den USA. Die werden schon auch in der Gastronomie oder beim Einkaufen mit Verkäuferlächeln konfrontiert, aber auf der Straße oder in der U-Bahn vergeht sogar ihnen das Lächeln, das sie von zu Hause gewöhnt sind. Wie geht das zu? Es kommt daher, dass es in Österreich zu wenige sesshaft gewordene Fremde gibt bzw. dass über die Jahrhunderte zu wenige Völkerschaften eingewandert sind.

Zu diesem Befund kommt eine höchst internationale Gruppe um Magdalena Rychlowska (University of Wisconsin-Madison) – Forscher aus sieben Ländern sind dabei, von Kanada bis Indonesien –, die der Frage nachgegangen ist, ob Gesichtsausdrücke von Emotionen überall gleich sind, oder ob es regionale bzw. kulturelle Differenzen gibt. Das hängt von den Emotionen ab: Furcht und Ekel fahren überall gleich in die Gesichter. Sie sind starke Emotionen, ihr Zeigen dient dem Überleben. Furcht im Gesicht eines anderen zeigt eine Bedrohung, die man selbst noch nicht bemerkt hat, Ekel deutet auf Gesundheitsgefahr hin.

Miteinander auskommen? Lächeln!

Beim Lächeln ist es anders, da redet der Wille mehr mit, und es ist kulturell überbaut, obgleich es auch überlebenswichtig sein kann, etwa wenn Fremde einander begegnen. Dann signalisiert Lächeln: keine Gefahr! Das hat Rychlowska und ihre bunte Gruppe zur Hypothese gebracht, häufiges und offenes Lächeln habe sich in Gesellschaften entwickelt, in denen viele Fremde sich aufeinander einstellen und miteinander auskommen müssen. Welche Gesellschaften das sind, lässt sich in der World Migration Matrix nachlesen, dort ist aufgezählt, wie viele fremde Völker seit 500 Jahren in Gesellschaften dazugekommen sind: Ganz oben liegen die USA und Kanada mit 83 bzw. 63, ganz unten China und Japan (je: 1), nach Österreich wanderten Menschen aus sieben Ländern.

Das prägt die emotionale Kultur, Rychlowska hat sie in 32 Ländern abgefragt, Österreich war nicht dabei. Es ging etwa darum, ob man Lächeln eher zeigt oder nicht: In Japan zeigt man es üblicherweise eher nicht, in den USA ganz freimütig. Das rechnet man für gewöhnlich dem „Kollektivismus“ bzw. „Individualismus“ zu, Osten versus Westen. Aber die Forscher haben das Muster so verbreitet auf der Erde gefunden, dass sie umgekehrt dazu tendieren, Kollektivismus/Individualismus aus den Einwanderungen abzuleiten.

„Aber das braucht oft Zeit“

Dann geht es auch um die Qualität. Lächeln kann soziale Bande knüpfen, es kann aber auch Hierarchien klären. Wieder schlägt das Erbe durch: In multiethnischen Gesellschaften wird eher sozial gelächelt, in anderen lächelt die Macht milde herab (Pnas, 20. 4.). Was heißt das nun aktuell? Rychlowska mahnt zur Geduld: „Theoretisch kann in einer ethnisch vielfältigen Umwelt Lächeln zur Norm werden. Aber das braucht oft Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)

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