Die Judenfeindlichkeit nach 1945

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Geschichte. Der Holocaust war zwar eine Zäsur in der Geschichte des Antisemitismus, aber keine Stunde null. Judenfeindlichkeit überlebte das Jahr 1945 in verbrämter Form.

Millionen Flüchtlinge, ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter waren nach dem Zweiten Weltkrieg heimatlos – sogenannte Displaced Persons oder DPs. Sie waren in ganz Europa zerstreut. Tausende von ihnen waren auch in Österreich, hunderte im Salzkammergut, das damals zur amerikanischen Besatzungszone gehörte. Die zumeist jüdischen DPs waren von den US-Truppen im Bad Ischler Hotel Goldenes Kreuz einquartiert worden. Die amerikanische Verwaltung verordnete im August 1947 den Ersatz von Frischmilchrationen für Kleinkinder durch Trockenmilchzuteilung. Daraufhin demonstrierten Frauen, Mütter, lokale KPÖ-Politiker und ehemalige Nazis vor dem Bad Ischler Rathaus. Sie brauchten einen Sündenbock für die schlechte Ernährungslage und griffen dabei auf altbewährte Feindbilder zurück: Die jüdischen DPs waren für die Demonstranten Schleichhändler. Sie skandierten antijüdische Parolen. Die Amerikaner verurteilten die Organisatoren im sogenannten Bad Ischler Milchprozess.

Das Beispiel zeigt, dass Ressentiments gegenüber Juden nach dem Krieg nicht einfach verschwanden. „Nach 1945 richtete sich der Antisemitismus sehr stark gegen die DPs, denen man vorwarf, sie seien wegen der amerikanischen Hilfe besser versorgt als die Österreicher“, sagt Margit Reiter vom Institut für Zeitgeschichte an der Uni Wien. Sie leitet das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Projekt „Antisemitismus nach der Shoah“. Reiter konzentriert sich dabei auf die unmittelbare Nachkriegszeit und besonders auf das bisher vernachlässigte Milieu ehemaliger Nationalsozialisten. Diese nahmen – anders als die meisten Offiziellen und Politiker – die Opfertheorie nicht an und standen nach wie vor zu ihren Überzeugungen.

Berichte von Täterkindern

Die Ehemaligen mussten aber lernen, dass sie keine offene Judenfeindlichkeit zeigen durften. Sie passten sich an. Dabei kam es zum „double speak“: „Nach außen hin gaben sie sich geläutert, nach innen – in ihren Familien oder untereinander – blieben sie überzeugt antisemitisch“, weiß Reiter von Erzählungen der Täterkinder. Die Forschung in Österreich vernachlässigte dieses Milieu bisher. Sie konzentrierte sich auf die Diskussionen im Parlament und den öffentlichen Diskursen, wo der Antisemitismus schneller verschwand als in den vorbelasteten Kreisen.

Aber die „alte Gesinnung“ blieb gerade in der VdU-Partei (Verband der Unabhängigen) und der aus ihr hervorgegangenen FPÖ auch parlamentarisch langfristig haften. Dort sammelten sich die ehemaligen Nationalsozialisten, die auch im demokratischen Österreich ihren Platz suchten. Der Nationalratabgeordnete der VdU Fritz Stüber etwa löste durch seine judenfeindlichen Äußerungen immer wieder heftige Debatten im Parlament aus. Er stimmte dem Staatsvertrag von 1955 als einziger Abgeordneter nicht zu, weil dieser einen Keil zwischen Österreich und Deutschland treiben würde. „Wobei auch gesagt werden muss, dass andere Teile der politischen Elite ebenfalls antisemitisch anfällig blieben, gerade der katholische Antisemitismus war in der ÖVP etwa tief verwurzelt“, erklärt Reiter.

Dennoch blieb das Jahr 1945 ein Bruch, denn die meisten Juden waren ermordet worden oder flohen. Viele jüdische DPs hielten sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahren noch in Österreich auf und waren daher bevorzugte Anfeindungsobjekte.

Aber Judenfeindlichkeit funktioniert auch ohne Juden: „Antisemitismus braucht keine Objekte, weil er ohnehin von der Projektion – der Vorstellung vom bösen anderen – lebt. Gerade in Gebieten mit wenig Juden ist der Antisemitismus oft sehr stark“, sagt Reiter.

Die Abneigung gegenüber Juden blieb ein Breitenphänomen. Aber die Österreicher distanzierten sich nach dem Holocaust davon, weil ein „moralisches Antisemitismusverbot“ herrschte. Sie tabuisierten die Vorurteile. Gleichzeitig konnte der Holocaust nicht geleugnet werden, daher relativierte man die Schuld mit Vergleichen: „Sobald über die Judenvernichtung gesprochen wurde, wurde auf die Verbrechen der Amerikaner oder der Russen verwiesen und damit die Schuld gegeneinander aufgerechnet und relativiert“, erzählt die Historikerin. [ Wikicommons]

LEXIKON

Antisemitismus ist ein Sammelbegriff für die mit religiösen, völkischen oder rassischen Motiven begründete Ablehnung der Juden.

Als Holocaust, oder hebräisch Shoah, wird der millionenfache Völkermord an den Juden bezeichnet. Er gründete auf dem von den Nationalsozialisten propagierten Antisemitismus, der auf die völlige Vernichtung der Juden abzielte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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