Habsburgtöne im Kolonialkonzert

Kolonialgeschichte. Nachdem die spanische Linie wegfiel, waren die Habsburger auf Europa beschränkt – so weit der Mythos: Die Monarchie verlor die Welt nicht aus den Augen.

Der aus Marburg stammende Vizeadmiral Wilhelm von Tegetthoff gewann 1866 die Seeschlacht von Lissa, vor der heute kroatischen Insel Vis. Das hatte – 17 Tage nach der Niederlage im heute tschechischen Königgrätz – keinerlei entscheidende Auswirkungen auf den Krieg von Österreich gegen Preußen und Italien. Tegetthoff wurde dennoch zum habsburgischen Helden. Heute noch erinnern der Tegetthoffplatz in Graz oder das Tegetthoffdenkmal auf dem Wiener Praterstern an den untersteirischen Marinesoldaten. Damit bleibt er als großer Sieger im historischen Gedächtnis Österreichs. Doch neun Jahre zuvor ist Tegetthoff weniger erfolgreich gewesen: Er sollte in geheimer Mission eine Insel im Roten Meer kaufen.

Die Insel Sokotra gehört zum heutigen Jemen. Sie gewann in der Mitte des 19. Jahrhunderts an strategischer Bedeutung. Der Suezkanal stand in Planung, und somit wurde das Rote Meer zu einer wichtigen Handelsroute. Tegetthoff sollte im Auftrag der habsburgischen Kriegsmarine diese Insel erwerben. Mastermind hinter diesem Plan war der Bruder Kaiser Franz Josephs und Oberbefehlshaber der Marine, Ferdinand Maximilian. Sokotra sollte als Versorgungs- und Umschlagplatz für Handelsschiffe dienen. Doch auf der langen Reise dorthin ging alles schief, was schiefgehen konnte (siehe auch Beitrag unten).

Der koloniale Gleichklang Europas

Tegetthoffs Sokotra-Geschichte ist nur eine von vielen, die zeigt, dass das Habsburgerreich auch nach dem Wegfall der spanischen Besitzungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts kolonialen Bestrebungen nachging: „Die Habsburger marschierten im Gleichklang mit den übrigen europäischen Großmächten. Sie akzeptierten den Imperialismus nicht nur, sie waren auch stark involviert“, sagt Walter Sauer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien und Kolonialismusforscher. Vor allem Erzherzog Ferdinand Maximilian, der jüngere Bruder des Kaisers, hatte viele koloniale Pläne. Er gab den Auftrag an Tegetthoff. Er veranlasste die Weltumsegelung der Fregatte Novara, die die Großmachtstellung der Monarchie betonte. Er ließ sich 1863 zum Kaiser von Mexiko ausrufen, wobei er am Ende vom mexikanischen Präsidenten Juárez hingerichtet wurde.

Sauer weist seit Jahren auf die starke koloniale Vergangenheit Österreichs hin, die nicht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt, sondern mehr als 150 Jahre zuvor: Die erste österreichische Ostindienkompanie legte bereits in den 1720er- und 1730er-Jahren Stützpunkte in China und Indien an. Eine treibende Kraft dahinter war der Statthalter der habsburgischen Niederlande, Prinz Eugen. Er pachtete Häfen und baute diese zu riesigen Umschlagplätzen für Kolonialwaren aus, ganz nach dem Vorbild der berühmten Ostindienkompanien Großbritanniens und Hollands. Die Einwohner der Nikobaren in Indien tragen heute noch rot-weiß-rote Trachten – ein habsburgisches Vermächtnis.

Die zweite österreichische Ostindienkompanie gründete Ende des 18. Jahrhunderts eine Kolonie in Moçambique in Südostafrika. Diese existierte nur zehn Jahre lang. Aber die Händler intensivierten den Elfenbein- und Sklavenhandel intensiv, sodass sie die gesamte Region für Jahrzehnte destabilisierten. Etwa hundert Jahre später waren österreichische Söldner für den belgischen König Leopold II. im Kongo tätig. Leopold schöpfte dem Land Elfenbein und Kautschuk – wichtig für die Gummiherstellung – ab. Die einheimische Bevölkerung wurde dabei grausam misshandelt und zu Tausenden verschleppt und getötet.

Der Abgesang an die Vergangenheit

Viele Österreicher wissen nichts von einer solchen Vergangenheit: „In der 2. Republik blendeten wir die Kolonialgeschichte der Monarchie aus, damit wir als Partner für afrikanische und asiatische Länder geeignet blieben“, sagt Sauer. Österreich positionierte sich nach 1945 als gutes, imperialistisch völlig unbescholtenes, Land – mit Erfolg: 1979 öffnete die UNO-City Wien, einer der vier Amtssitze der Vereinten Nationen.

Das Leugnen hat auch einen bildungspolitischen Aspekt: „Ich glaube, dass wir die koloniale Vergangenheit nie wirklich bewältigt haben und das ist eine Ursache für ein gewisses Maß an Diskriminierung von Afrikanern und Ausländern“, sagt Sauer. Denn die habsburgischen Militärs, Händler, Missionare und Abenteurer behandelten Menschen anderer Hautfarbe und Herkunft nie als gleichwertige Partner. Sie hegten Ressentiments gegenüber den „Fremden“ und verbreiteten Vorurteile, die sich zum Teil bis heute gehalten haben.

LEXIKON

Als Kolonialismus wird die meist staatlich geförderte Inbesitznahme fremder Territorien bezeichnet. Die Kolonialherren unterwerfen, vertreiben und ermorden die ansässige Bevölkerung, versklaven sie und verkaufen sie als Handelsware. Die Herrscher pressen das Land ökonomisch völlig aus, um es nach einer ökologischen Katastrophe wieder zu verlassen. Kolonialherren fühlen sich den „Eingeborenen“ überlegen. Sie schätzen sich selbst als rassisch „höherwertig“ oder „zivilisierter“ ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

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