Anthropologie: Kriegsbeil um „Kennewick Man“ ist begraben

(c) REUTERS (JORGE DAN LOPEZ)
  • Drucken

Der bittere Streit um das Skelett eines Mannes, der vor 8400 Jahren in Nordamerika gelebt hat, kann beendet werden: Der Mann war ein Ahne von Indianern, diese werden ihn wohl bald bestatten können.

Kaum ein anderer Mensch ist den verbliebenen Indianern Nordamerikas so heilig wie der, den sie „Ancient One“ nennen. Er lebte vor etwa 8400 Jahren, ans Licht kam er 1996 am Ufer des Columbia River nahe dem Ort Kennewick, zunächst hielt man ihn für einen europäischen Siedler. Aber dann kam die Datierung auf das hohe Alter, und diese weckte hohe Emotionen und einen langjährigen bitteren Rechtsstreit zwischen Indigenen und Anthropologen.

Für Erstere war die Sache klar: „Kennewick Man“ war einer der ihren, damit stand er unter dem Schutz des Native American Graves Protection and Repatriation Act. Dieser sieht vor, dass alle Funde von Ahnen der Indianer umgehend bestattet werden müssen und nicht in die Hände von Wissenschaftlern geraten dürfen. Zuständig für den Fundort war das Army Corps of Engineers, es schloss sich der Meinung der Indianer an und wollte ihnen das in großen Teilen erhaltene Skelett übergeben.

Aber Anthropologen wollten „Kennewick Man“ auch, es ging vor Gericht und dort hin und her. 2004 fiel die Entscheidung zugunsten der Forscher. Diese analysierten zehn Jahre lang und fanden keine äußerliche Ähnlichkeit mit heutigen Indianern. Stattdessen hat die Schädelform nach Polynesien gewiesen und zu den Ainu – sie leben auf Japan. Auch europäische Züge meinten manche zu sehen.

Was zunächst nicht gelungen ist, war eine Analyse der Gene, man hat sie im Jahr 2000 erstmals versucht, aber die Paläogenetik war damals noch nicht weit genug. Inzwischen ist sie es, vorangetrieben vor allem von Eske Willerslev (Kopenhagen), er hat nun auch aus einem Fingerknochen von „Kennewick Man“ genug DNA extrahieren und mit weltweitem Referenzmaterial vergleichen können. Und mit einiger Ironie gibt nun die Wissenschaft den Indianern recht: „Kennewick Man“ gehört zu ihnen. Mit den Genen von Polynesiern haben seine nichts zu tun, auch nicht mit denen der Ainu (Nature 18. 6.).

Welche Indianer von ihm stammen könnten, lässt sich allerdings nicht präzise sagen, es gibt zu wenige Genomanalysen heutiger Stämme. Die meisten Gemeinsamkeiten hat „Kennewick Man“ mit Stämmen der Colville Reservation, sie leben im Nordwesten der USA, sie haben, wie einige andere auch, ursprünglich einen Anspruch auf „Kennewick Man“ erhoben.

Nun werden sie ihn wohl erhalten. Aber die Schädelform, die so wenig indianisch ist? Für sie wurden zwei Spezialisten zu Rate gezogen, die sich seit Jahren mit fossilen Schädeln befassen wie niemand sonst, Marcia Ponce de León und Christoph Zollikofer (Uni Zürich). Sie weisen schon lang auf etwas hin, was auch Laien bei jeder U-Bahn-Fahrt beobachten können, unter Anthropologen aber schon für viel Verwirrung gesorgt hat, vor allem bei sehr alten Funden: Die Schädelformen können innerhalb von Populationen größere Unterschiede haben als zwischen Populationen: Aus einem einzigen Schädel – wie dem von „Kennewick Man“ – kann man nicht auf die Herkunft schließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.